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1459 - Die Hexe und ihr Henker

1459 - Die Hexe und ihr Henker

Titel: 1459 - Die Hexe und ihr Henker
Autoren: Jason Dark
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ebenso starr im Spiegel stehen wie die Blonde davor.
    In Sheilas Kopf herrschte ein großes Durcheinander. Obwohl sie schon viel in dieser Hinsicht erlebt hatte, gelang es ihr nicht, normal zu denken. Hier kam einiges zusammen, was nicht passte, und dass es ein Spiegel war, der ihr dieses Bild zeigte, musste auch eine besondere Bedeutung haben, denn Spiegel sind oft verwunschene und geheimnisvolle Eingänge zu anderen Welten, die man auch als fremde Dimensionen bezeichnen konnte. Das wusste Sheila Conolly sehr gut.
    Sprechen konnte sie in diesen Augenblicken nicht, in denen auch für sie die Zeit eingefroren zu sein schien. Aber sie spürte die Kälte, die in ihr steckte. Sie war wie Eissplitter, die langsam durch ihre Adern rieselten und ein Frösteln auf der Haut hinterließen.
    Es wäre jetzt normal gewesen, die Kabine zu betreten, um Kontakt mit der nackten Kundin aufzunehmen. Das tat Sheila nicht. Ein tiefes Misstrauen erfüllte sie, und sie konnte sich sogar vorstellen, dass dieser düstere Henker seine Spiegel weit verließ, in die normale eintauchte und dort sein blutiges Handwerk verrichtete.
    Behutsam, wie Sheila den Vorhang zur Seite gezogen hatte, ließ sie ihn wieder zufallen. Sie bleib stehen, atmete einige Male tief durch und drehte sich dann um.
    Emma Smith starrte sie an.
    Sheila nickte ihr zu. »Sie haben Recht gehabt, Emma. Es gibt diese Frau in der Kabine.«
    »Haben Sie auch die Wunden gesehen?«
    »Das habe ich.«
    »Was sagen Sie?«
    Sheila hob die Schultern. »Ich kann sie mir nicht erklären.«
    »Nur das Gesicht ist frei.«
    »Stimmt.«
    »Auch das verstehe ich nicht«, flüsterte Emma Smith. »Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll…«
    Sheila ging einen Schritt auf sie zu. »Ich habe da noch eine andere Frage.«
    »Bitte?«
    »Warum haben Sie mir nichts von der schwarzen Kuttengestalt mit der Sense gesagt, die ich im Spiegel sah. Und zwar dicht hinter der Kundin.«
    Emma Smith riss die Augen auf. Sie wusste in diesem Moment nicht mehr, was sie noch antworten sollte. Sicherheitshalber hielt sie sich an der oben verglasten Verkaufstheke fest.
    »Eine Kuttengestalt?«, wiederholte sie dann.
    »Ja, ein Henker. Oder der Tod, wie man es auch sehen mag. Die Gestalt war mit einer Sense bewaffnet, die sie über ihre Schulter gelegt hatte. Sie stand hinter der Kundin im Spiegel, ohne sich zu bewegen. Sie schlug auch nicht zu, sie war einfach nur da.«
    »Nein, die Gestalt habe ich nicht gesehen. Ein – ein – Henker, haben Sie gesagt?«
    »Ja.«
    »Und Sie haben sich nicht geirrt?«
    »Bestimmt nicht, Emma.«
    Die Verkäuferin schüttelte sich. »Was hat das alles zu bedeuten?«
    »Vielleicht schauen wir es uns gemeinsam an.«
    Emma Smith zuckte zusammen. Mit diesem Vorschlag hatte sie nicht gerechnet. Er passte ihr nicht, was ganz natürlich war. Um ihre Lippen zuckte es, doch sie traute sich nicht, Sheila zu widersprechen. Deshalb nickte sie.
    Sheila ging vor. »Sie brauchen sich nicht zu fürchten, Emma, wir schaffen das.«
    »Ich weiß nicht…«
    Sheila hatte den Vorhang wieder erreicht. Auch ihr Herz klopfte schneller als gewöhnlich. Sie hörte die Echos in ihren Ohren nachklingen. Langsam öffnete sie den Vorhang.
    Ein Spalt reichte aus.
    Vier Augen schauten in die Kabine hinein, und vier Augen sahen, dass sich die Nackte nicht mehr dort aufhielt. Aber sie war noch vorhanden. Da brauchten die beiden Frauen nur einen Blick in den Spiegel zu werfen, um sie zu sehen.
    Ob sie sich im Hintergrund aufhielten oder innerhalb des Spiegels, war nicht genau herauszufinden. Jedenfalls waren beide vorhanden, und da fiel ihnen irgendwie ein Stein vom Herzen, denn weder der Henker noch die Blonde machten einen angriffslustigen Eindruck.
    Sie entfernten sich.
    Dabei spielten die Maße des Spiegels keine Rolle. Platz genug hatten sie. Ein Geräusch war nicht zu hören. Sie schwebten einfach davon, wurden immer kleiner und tauchten in die Weite des Hintergrunds ein, von dem sie schließlich aufgesaugt wurden.
    Erst jetzt, wo die Spannung nachließ, spürte Sheila, dass eine Hand ihren Arm umklammert hielt. Emmas Griff war so fest, dass bestimmt ein paar blaue Flecken zurückbleiben würden.
    »Was war das, Mrs Conolly?«
    Sheila hob die Schultern. »Sie sind verschwunden. Beide. Und das bestimmt nicht grundlos.«
    »Und was haben sie hier gemacht?«
    Sheila zerrte den Vorhang ganz auf. Sie gab eine ehrliche Antwort.
    »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Emma, wirklich nicht. Ich bin damit völlig
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