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1376 - Die Werber des Hexameron

Titel: 1376 - Die Werber des Hexameron
Autoren: Unbekannt
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ein paar Stunden lang und diente mehr der Meditation, als daß es aus echter Hingabe geschah. Sein Bruder hatte es da leichter, dachte Shallun. Shaa betete endlose Monologe der Göttin Girratu herunter. Trotzdem war sein Zustand kaum besser als der eigene.
    Erst der Einbruch der Nacht brachte endlich Linderung.
    Shallun legte sich jedoch nicht schlafen wie Shaa, sondern kauerte hinter ihrem Windschutz nieder und hielt Wache. Tatsächlich erschien zwei Stunden nach Mitternacht ein Schatten, neugierig hin und her schnüffelnd, als habe die ungewohnte Witterung der Hauri ihn angelockt.
    Das Tier!
    Shallun ballte triumphierend die Fäuste. Er hatte es gewußt! Es gab doch Leben in der Wüste.
    Indessen war das Tier nahe herangekommen. Es lief auf vier dünnen, dreigliedrigen Beinen und hatte einen sonderbar geformten Rumpf, der einem Berg en miniature verblüffend ähnelte. Shallun zog sofort die Querverbindung zu Jhiakk und den anderen Heimstätten der Hauri. Wie paßten die beiden Bruchstücke eines Puzzles zusammen? Gehörte überhaupt eines zum anderen?
    Aber die Frage war müßig.
    Shallun packte einen faustgroßen Stein und wog ihn prüfend in der linken Hand, die stärker als die rechte war. Kurz entschlossen holte er aus. Er schleuderte das Wurfgeschoß mit aller Macht, traf und stürzte vor.
    Das Tier schrie mit einer Mischung aus Schmerz und Überraschung auf. Es versuchte sich zur Flucht zu wenden, aber Shallun erwischte es noch im ersten Sprung. Mit beiden Händen ertastete er den Hals seiner Beute. Er fühlte eine dünne, knorpelige Struktur und drückte an der schwächsten Stelle zu. Das Tier schlug mit den Hinterläufen aus, traf ihn aber nicht. Am Ende lag es schlaff in seinen Händen. „Was hast du getan?"
    „Ich habe etwas gefangen", gab Shallun stolz zurück. „Du kannst es nicht essen."
    „O doch. Das wirst du sehen, Bruder."
    Er begann das Tier mit bloßen Händen zu zerlegen. Sein Mageninhalt bestand aus vergorenen Pflanzenresten, gewiß dieselben Pflanzen, die sie in der letzten Nacht zum Entzünden eines Feuers benutzt hatten. Das war logisch, denn Shallun hatte im Wüstensand noch keine zweite Spezies entdeckt.
    Aus den offenen Wunden des Kadavers troff gelbliche, dicke Flüssigkeit, die, abgesehen von der Farbe, an Ponaa erinnerte.
    Diese Beobachtung beseitigte Shalluns letzte Hemmungen. Er riß wie in Folge eines lange verschütteten Instinkts kleine Brocken aus der Muskelmasse des Tiers und verschlang sie gierig. Dabei konnte er nur hoffen, daß kein Wasser in seinen Organismus gelangte. Er spürte, wie die ungewohnten Substanzen in seinem Magen eilig aufgeschlossen und verwertet wurden. „Es ist eßbar! Shaa, es ist wirklich eßbar! Wir erreichen Jhiakk!"
    Nun überwand auch der Bruder seine Hemmungen. Shallun sah ihm an, daß er ohne wirkliche Not wohl keinen Bissen genommen hätte.
    Minuten später hatten sie die Hälfte der Fleischmasse in sich hineingeschlungen. „Wir haben eine Chance, Bruder. Jetzt haben wir wieder eine."
    Shallun legte sich im Schutz der Mauer nieder und schlief fast augenblicklich ein. Eine halbe Stunde später erwachte er. In seinem gesamten Organismus war ein sonderbares Rumoren, als habe sich jeder Muskel plötzlich verdoppelt. Mühevoll hielt er den unbändigen Bewegungsdrang im Zaum, der ihm nun zu schaffen machte. „Shallun!" rief Shaa da verhalten. „Spürst du es auch?"
    „Ja, ich spüre es. Ich weiß nur eine Erklärung ..."
    „Das Tier enthielt doch Wasser."
    „Und jetzt haben wir das Zeug im Körper. Richtig, Shaa."
    Beide lagen eine Zeitlang wortlos nebeneinander. Dann aber entschieden sie, daß es keinen Sinn hatte, dem Bewegungsdrang entgegenzuarbeiten. Die Hauri erhoben sich und folgten im Laufschritt der Spur Jhiakks nach Norden. Unter hellem Sternenlicht war der breite, glattgewalzte Streifen deutlich erkennbar.
    Sie legten eine größere Strecke Wegs zurück als an den übrigen Tagen zusammengenommen. Allmählich aber machte sich in ihren Gliedern dennoch Müdigkeit breit; Shallun dachte an die Erläuterungen des Wasserträgers. Bald würden sie für jeden Schritt, dessen Länge die natürliche haurische Leistungskraft überstieg, zu zahlen haben.
    Erst ein Aufschrei des Bruders schreckte ihn aus der Konzentration. „Shallun! Dahinten!"
    Er folgte mit den Augen Shaas ausgestrecktem Arm. Usha und Allu standen kurz unter dem Horizont und warfen bereits erste Strahlen in die Atmosphäre. Trotz des herrschenden Zwielichts sah er sofort, was
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