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1356

1356

Titel: 1356
Autoren: Bernard Cornwell
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verflucht. Er, der über uns regieren soll, wird es finden, und er soll gesegnet sein.»
    «Ist das Ketzerei?», fragte der Comte.
    «Es ist das Lied, das die Predigermönche in ganz Frankreich singen. In ganz Europa! Es gibt nur einen Mann, der über uns regiert, und das ist der Heilige Vater! Wenn
La Malice
existiert, ist es Eure Christenpflicht, mir zu sagen, was Ihr wisst. Die Klinge muss der Kirche übergeben werden! Ein Mann, der anders denkt, ist ein Ketzer.»
    «Ich bin kein Ketzer», sagte der alte Mann.
    «Euer Vater war ein Schattenfürst.»
    Den Comte überlief ein Schauder. «Die Sünden meines Vaters sind nicht meine.»
    «Und die Schattenfürsten waren im Besitz von
La Malice

    «Über die Schattenfürsten wird vieles geredet», sagte der Comte.
    «Sie haben die Schätze der häretischen Katharer gehütet», sagte der Priester, «und als diese Ketzer durch die Gnade Gottes aus dem Land getrieben worden waren, haben die Schattenfürsten ihre Schätze in Verstecke gebracht.»
    «Das habe ich auch gehört.» Die Stimme des Comtes war kaum mehr als ein Flüstern.
    Der Priester streckte die Hand aus, um dem Falken über den Rücken zu streichen.
«La Malice»
, sagte er, «war all die Jahre verschwunden, aber die Predigermönche sagen, sie kann wiedergefunden werden. Und sie muss wiedergefunden werden! Sie ist ein Schatz der Kirche, ein machtvolles Objekt, und Ihr versteckt sie!»
    «Das tue ich nicht!», widersprach der alte Mann.
    Der Priester setzte sich auf das Bett und beugte sich dicht zu dem Comte. «Wo ist
La Malice
?», fragte er.
    «Ich weiß es nicht.»
    «Ihr steht kurz vor Eurem göttlichen Richterspruch, alter Mann», sagte der Priester, «also lügt mich nicht an.»
    «So wahr mir Gott helfe», sagte der alte Mann, «ich weiß es nicht.» Und das stimmte. Er hatte gewusst, wo
La Malice
versteckt gewesen war, und weil er ihre Entdeckung durch die Engländer befürchtete, hatte er seinen Freund Fra Ferdinand losgeschickt, um die Reliquie zurückzuholen, und der Comte vermutete, dass der Mönch dies auch getan hatte, und wenn Fra Ferdinand erfolgreich gewesen war, dann wusste der Comte wirklich nicht, wo sich
La Malice
nun befand. Also hatte er nicht gelogen, aber er hatte dem Priester auch nicht die ganze Wahrheit gesagt, denn manche Geheimnisse sollte man mit ins Grab nehmen.
    Der Priester starrte den Comte lange an, dann streckte er die linke Hand aus und nahm die Geschühriemen des Falken auf. Der Vogel, der immer noch die Haube über dem Kopf trug, trat vorsichtig auf das Handgelenk des Priesters. Nun hob der Priester den Vogel zum Bett hinüber und drängte ihn mit leise gemurmelten Worten auf die Brust des sterbenden Mannes, löste sanft die Schnüre der Falkenhaube und zog die Lederkappe vom Kopf des Vogels. «Diese
Calade
», sagte er, «ist anders. Denn sie verrät uns nicht, ob Ihr leben oder sterben werdet, sondern ob Ihr im Zustand der Gnade sterbt und in den Himmel eingeht.»
    «Darum bete ich», sagte der Mann auf dem Totenbett.
    «Seht den Vogel an», befahl der Priester.
    Der Comte de Mouthoumet richtete seinen Blick auf den Vogel. Er hatte von solchen Vögeln gehört, den
Calades
, die voraussagen konnten, ob ein Mann leben oder sterben würde. Wenn der Vogel einem Kranken direkt ins Auge sah, dann würde sich der Kranke erholen, und wenn nicht, würde er sterben. «Ein Vogel, der das ewige Leben voraussagen kann?», fragte der Comte.
    «Seht ihn an», sagte der Priester, «und sagt mir: Wisst Ihr, wo
La Malice
versteckt ist?»
    «Nein», flüsterte der alte Mann.
    Der Falke schien an die Wand zu schauen. Er machte ein paar kleine Schritte auf der Brust des alten Mannes, seine Krallen verhakten sich in der zerschlissenen Decke. Niemand sprach ein Wort. Der Vogel war sehr still, doch dann, plötzlich, schoss sein Kopf vor, und der Comte schrie.
    «Ruhig!», knurrte der Priester.
    Der Falke hatte das linke Auge des Sterbenden mit seinem Hakenschnabel aufgeschlitzt, es ausgedrückt und eine Spur aus blutigem Schleim auf der unrasierten Wange des alten Mannes hinterlassen. Der Comte wimmerte. Der Falke machte ein klapperndes Geräusch mit dem Schnabel.
    «Die
Calade
zeigt, dass Ihr gelogen habt», sagte der Priester, «und wenn Ihr Euer rechtes Auge zu behalten wünscht, werdet Ihr die Wahrheit sagen. Wo ist
La Malice

    «Ich weiß es nicht.» Der alte Mann schluchzte.
    Der Priester schwieg eine Zeitlang. Das Feuer knisterte, und der Wind blies Rauch in den Raum. «Ihr
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