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1352 - Beute für den Sensenmann

1352 - Beute für den Sensenmann

Titel: 1352 - Beute für den Sensenmann
Autoren: Jason Dark
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wahr – sie war nichts anderes als alte stinkende Lappen. Und es stank zudem nach verfaultem Fleisch und auch nach Wasser.
    Lilian hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Als die Gestalten sie umdrehten, hatte sie das Gefühl, diese Bewegung gleich dreimal zu durchleiden. Der Schwindel sorgte bei ihr für einen Taumel, und so fiel sie in die griffbereiten Arme weiterer Gestalten, die sie ebenfalls festhielten.
    Anschließend erlebte sie den Albtraum von neuem. Nur war er jetzt noch schlimmer, denn eine Chance bekam sie nicht mehr. Die Überzahl war einfach zu groß.
    Sie hing in den Griffen fest wie eine Puppe. Nichts mehr würde noch gelingen. Lilian war von der Realität verlassen worden. Sie erlebte nichts mehr mit und konnte sich nur vorstellen, frei zu sein.
    Sie wünschte es sich und merkte stattdessen das Gegenteil, als sie in die Nähe des Feuers geriet, dessen heißer Atem sie mit brutaler Wucht traf. Automatisch zuckte sie zurück, aber sie hing in den Griffen der Feinde fest, die sich nicht gelockert hatten.
    In den letzten Sekunden war die Erinnerung an Navarro verblasst.
    Jetzt sah sie ihn wieder. Er ging noch immer um das Feuer herum, fuchtelte mit seinen Armen, als wollte er die Flammen beschwören.
    Plötzlich veränderte er die Richtung. Mit ein paar schnellen Schritten war er bei Lilian Dexter und blieb vor ihr stehen. Sie sah ihn als einen bärtigen Teufel an, der sie aus seinen dunklen Augen anglotzte, als wollte er sie für die Hölle hypnotisieren.
    »Ich bin der Hüter des Schatzes gewesen. Ich habe ihn aus dem Meer geholt. Er gehört mir. Ich bin für ihn verantwortlich, und das für alle Zeiten.«
    »Wieso denn?«, schrie sie.
    »Damals sank mein Schiff mit der wertvollen Ladung. Alle ertranken, nur ich nicht. Ich weiß nicht warum, aber der Teufel hatte kein Interesse an mir. Er ließ mich leben und sorgte dafür, dass mich eine Welle gegen das Ufer schwemmte, wo man schon auf mich gewartet hatte. Es waren sieben Gestalten, die zusammenlebten und sich mit Haut und Haaren dem Teufel hingegeben hatten. Sie warteten auf Menschen wie mich, um ihrem hohen Herrn noch mehr Diener zu bringen. Sie warfen mich in das Feuer hinein, vor dem ich eine irrsinnige Furcht hatte. Aber wieder hatte der Teufel ein Einsehen. Ich verbrannte und verbrannte trotzdem nicht. Ich wurde zum Skelett, ich lief wieder zurück in das Wasser und stieg aus ihm hervor. Ich lebte als Skelett weiter und war nun der Hüter des Schatzes.«
    »Aber du bist kein Skelett, sondern…« Ein hässlich klingendes Lachen unterbrach die junge Frau. »Das stimmt, da hast du Recht. Aber der Teufel war so gnädig, mir beides zu geben. Ich konnte in bestimmten Nächten wieder zu einem Mensch werden, wenn ich es wollte. Immer dann, wenn sich der Tag oder die Nacht meiner Verbrennung jährte, hatte die Hölle ein Einsehen. Und das ist geschehen. Heute gibt es den Jahrestag. Ich bin wieder Mensch, aber ich werde freiwillig zu einem Skelett werden, wie es die Hölle verlangt. Und meine Freunde werden dabei zuschauen…«
    »Wir sind diese Gestalten? Mönche? So sehen sie aus…«
    Vor der Antwort verzerrte sich der Mund des Kapitäns. »Nein, Lilian, wenn es Mönche wären, dann gehörten sie zum Teufel. Dann dienten sie der Hölle. Verstehst du?«
    »Leben sie auch so lange?«
    »Ja, sie sorgen dafür, dass nichts vergessen wird. Immer mal wieder tauchen sie auf. Auch sie haben sich an den Jahrestag gehalten. Im Laufe der Vergangenheit haben sie sich schon einige Opfer geholt. Alle hundert Jahre. Und das haben die Menschen gemerkt. Aber sie haben nichts dagegen tun können, sondern es nur in ihren Geschichten festgehalten, die sie sich immer wieder erzählen und die von Generation zu Generation weitergegeben werden. So bleiben wir immer in der Erinnerung bestehen. Und jeder, der uns so zu Gesicht bekam wie du, der wurde unsere Beute. Beute für den Sensenmann, eine Seele für die Hölle…«
    Er hatte genug erklärt. Er legte den Kopf zurück und lachte schallend gegen das Prasseln der Flammen.
    Lilian wunderte sich darüber, dass sie nach alldem noch klar denken konnte. Himmel, jemand aus dem Ort musste das Feuer doch sehen! Warum kam denn keiner? Warum schauten die Menschen nicht nach, was hier geschah? Trauten sie sich nicht? Erstickten sie fast an ihrer Angst vor der Gegenwart und vor der Vergangenheit?
    Eine Antwort wusste sie nicht. Es war auch besser, wenn sie sich selbst um ihr Schicksal kümmerte. Sie wartete darauf, dass sie
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