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1327 - Lady Sarahs Totenfrau

1327 - Lady Sarahs Totenfrau

Titel: 1327 - Lady Sarahs Totenfrau
Autoren: Jason Dark
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mich nicht mehr losließ. Ich beugte mich tief über das Gemälde und nahm genau die Stelle ins Visier, die Jane schon von der oberen Schicht befreit hatte. Dazu musste ich nicht mal die Lupe einsetzen, und ich sah tatsächlich darunter etwas anderes.
    Da war nicht das blanke Holz. Das war auch kein altes Stück Leinwand, sondern ein Teilstück eines alten Bildes. Ich sah etwas Rundes, Dunkles, eingebettet in eine ovale hautfarbene Höhle und darüber den Teil eines geschwungenen Strichs.
    Ich richtete mich wieder auf.
    »Na, Mr. Sinclair, dann sag mir mal, was du gesehen hast.«
    »Das ist nicht leicht. Wir sollten…«
    »Denk einfach mal nach.«
    Das tat ich, aber ich kam zu keinem Ergebnis.
    Jane Collins half mir. »Es ist ein Teil eines Menschen«, sagte sie, »da bin ich mir sicher. Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, dass es ein Teil eines menschlichen Gesichts ist.«
    »Bist du sicher?«
    »Völlig.«
    Ich nahm die Lupe, schaute noch mal hin und konnte nur nicken.
    Es stimmte. Was Jane da freigelegt hatte, war Teil eines menschlichen Auges.
    »Also doch«, flüsterte ich.
    »Habe ich dir von Beginn an gesagt. Ich habe Sarah verdammt gut gekannt. Die hat das Bild nicht grundlos versteckt. Da steckt mehr dahinter, John, viel mehr.«
    »Kann sein«, murmelte ich.
    »Das ist so.«
    »Aber warum hat sie niemals etwas von gesagt?«
    Jane hob die Schultern. »Uns kann es jetzt egal sein. Wir sollten nur weitermachen. Ich bin sicher, dass wir noch mehr herausholen, und nicht nur ein Auge.«
    »Nein, auch ein Gesicht.«
    »Und mehr«, sagte die Detektivin.
    »Wieso?«
    »Zu einem Gesicht gehört immer ein Körper. Davon gehe ich aus. Und den holen wir auch noch.«
    Dagegen konnte ich nichts sagen. Ich beugte mich wieder über das Bild, ließ Jane allerdings Platz genug, damit sie ihre Arbeit ungestört fortführen konnte.
    Das leise Kratzen des Messers war das einzige Geräusch, das wir hörten. Jane arbeitete sehr vorsichtig. Von Minute zu Minute legte sie mehr frei. Schon bald war ein Gesicht zu sehen, danach der Kopf mit seinen langen Haaren.
    »Mein Gott«, flüsterte ich, »das hätte ich nicht gedacht. Das ist ja kaum zu fassen.«
    Jane lachte nur. Sie machte weiter. Durch nichts ließ sie sich stören… Immer mehr des alten Bildes kam zum Vorschein, und schließlich staunten wir beide.
    Denn was unter dem normalen Bild zum Vorschein gekommen war, damit hatte keiner von uns rechnen können.
    Es war eine sitzende nackte Frau!
    ***
    »Jetzt bist du dran«, sagte Jane und nickte mir zu.
    »Wieso ich?«
    »Bist du nicht für nackte Frauen zuständig?«
    »Nun ja, nicht direkt. In diesem Fall sollten wir uns beide zuständig fühlen.«
    »Ausnahmsweise gebe ich dir Recht.«
    Wir standen vor dem Bild und schauten es uns an. Der Oberkörper des Bischofs war fast ganz verschwunden. Nur der Kopf mit dem goldenen Helm war noch zu sehen. Ansonsten wurde fast die gesamte Breite des Bildes von der Nackten eingenommen, die eine wirkliche Schönheit war. Wer sie war, wussten wir nicht. Auch nicht, wer sie gemalt hatte, aber sie war perfekt.
    Die Beine hatte sie angewinkelt und den Oberkörper nach vorn gebeugt, wobei sie ihre verschränkten Arme auf die Knie gelegt hatte. Das dunkle Haar floss bis über ihren nackten Rücken, und die Frau hatte den Kopf so gedreht, dass sie den Betrachter des Bildes direkt anschaute. Und das mit dunklen, sehr geheimnisvollen Augen.
    »Das ist sie«, sagte Jane leise.
    »Wen meinst du?«
    »Die Verführung. Hat das Bild nicht diesen Titel gehabt? Die Verführung?«
    »Richtig. Also ist sie die Verführerin, die den Bischof oder wen auch immer verführt hat. So heilig kann man gar nicht sein, um bei ihr nicht schwach zu werden.«
    Jane kümmerte sich nicht um meine Bemerkung. »Und genau aus diesem Grund hat Lady Sarah das Bild auch versteckt.«
    »Wegen der Nackten, meinst du?« Ich setzte mich in einen der leichten Sessel.
    »Diese Person ist eine wirkliche Verführerin. Sie ist die Schlange, wenn ich mal den alten Vergleich benutzen darf. Sie ist das Böse, und sie hat den heiligen Mann verführt. Hier sind uralte Ressentiments perfekt ins Bild gesetzt worden.«
    Ein Gegenargument fand ich nicht, und deshalb nickte ich.
    Das Böse – die Schlange – das Weib!
    So schlicht hatten über Jahrhunderte hinweg viele Menschen gedacht. Leider war auch heute noch bei bestimmten Personen diese Denkweise vorhanden, und das würde auch so bleiben, da war ich mir sicher. Aufklärung hin oder her,
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