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1253 - Angst vor dem eigenen Ich

1253 - Angst vor dem eigenen Ich

Titel: 1253 - Angst vor dem eigenen Ich
Autoren: Jason Dark
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ich wäre hineingesprungen.
    Julie Ritters Gesicht, aber für mich war es kein Gesicht mehr, sondern eine bleiche Maske, in die man zwei Augen hineingeschnitten hatte, um sie mit einer dunklen Farbe zu füllen. Die Maske besaß auch keine glatte Haut mehr. Sie war von Falten und Rissen durchzogen wie altes Mauerwerk.
    Vor mir lag eine alte Frau, eine Greisin, die vor einer Stunde noch ganz anders ausgesehen hatte.
    »Julie«, flüsterte ich entsetzt. »Mein Gott, was ist mit dir passiert?«
    Sie gab mir die Antwort, aber sie gab sie anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Denn sie grinste mich an. Durch dieses Verziehen der Lippen veränderte sich ihr Gesicht noch mehr. Da sah es fast so aus, als würde das Mauerwerk abbröckeln.
    »Ja, das bin ich, John Sinclair. Gratuliere, du hast mich noch erkannt.«
    »Bestimmt, Julie, bestimmt.« Ich schüttelte den Kopf. Allmählich verlor sich das Gummigefühl aus meinen Knien. »Aber was ist mit dir geschehen? Warum hast du dich verändert? Warum bist du so stark gealtert? Wer bist du wirklich?«
    »Julie Ritter.«
    »Ja, aber das ist nicht alles.«
    »Nein, das ist es nicht.« Ihre sehr faltig gewordene Hand zuckte. »Ich bin jemand, die hier schon gelebt hat. Damals, als es noch den Abbé Saunière gab, da habe ich hier als junges Mädchen gelebt. Ich habe ihn gekannt. Sogar gut gekannt. Er hat mich in vieles eingeweiht, denn er spürte, dass ich anders war. Er hat herausgefunden, dass ich schon mal gelebt hatte. Aber nicht nur das. Ich besaß auch einen Doppelkörper. Ich war vom Hirn her anders als die meisten Menschen. Mich zog der Abbé ins Vertrauen. Ich war dabei, als er die Gebeine fand, und ich war dabei, als er sie wegbrachte.«
    »Dann hast du gewusst, wo wir sie finden können?«
    »Ja und nein. Ich wusste nur, dass sie in der Nähe der alten Kirche lagen. Der Abbé starb, und er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.«
    »Und trotzdem hast du sie gefunden.«
    »Klar.«
    »Wie war das möglich?«
    »Durch meinen Doppelkörper. Er war etwas Besonders. Ich habe ihn immer als den Geist der Maria Magdalena angesehen, und damit habe ich wohl auch richtig gelegen. Er hat mich am Leben gehalten. Er hat mich nicht altern lassen. Ich lebte dank seiner Kraft. Aber jetzt hat er mich verlassen. Er ist dorthin zurückgekehrt, was man als seinen Ursprung bezeichnen kann. Er braucht mich nicht mehr. Ich war für ihn das Mittel zum Zweck, und ich werde den Weg gehen, den alle Menschen irgendwann einmal gehen müssen.«
    Sie wollte und sie würde sterben. Das sah ich ihr an. In den letzten Sekunden, als sie gesprochen hatte, war wieder eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Die Haut war noch dünner geworden, aber nicht blasser. Es hatten sich braune Altersflecken entwickeln können, die wie große Geldstücke auf dem Gesicht klebten. Mir fiel auch auf, dass ihre Haare die ursprüngliche Farbe verloren hatten. Sie waren aschig und grau geworden. Sie hatten sich dem Gesicht angepasst, in dem die Lippen aussahen, als wären sie aufgerissen worden.
    Ich kannte jetzt ihr Geheimnis. In Wirklichkeit war sie mehr gewesen als eben nur eine Wiedergeborene. Aber ich konnte sie auf keinen Fall verdammen, denn sie hatte sich gegen van Akkeren und seine verbrecherischen Templer gestemmt. Ob bewusst oder unbewusst, das musste ich dahingestellt sein lassen.
    Das Leben steckt voller Überraschungen. Diese jedoch glich einem Hammerschlag, den ich nicht so einfach einstecken konnte. Dazu war zu viel zwischen uns geschehen.
    »Ich möchte dir gern helfen, Julie und…«
    »Das weiß ich, John, aber für mich ist es vorbei. Ich weiß die Gebeine in guten Händen. Hier sollen sie auch bleiben, und vielleicht gibt es endlich die Ruhe, die man sich schon vor Jahrhunderten vorgestellt hat. Mein Leben zerrinnt. Ich merke, dass es mit jeder vergehenden Sekunde weniger wird. Der Geist ist wieder in die Nähe der Gebeine zurückgekehrt. Was will ich mehr?«
    Ich blieb stumm. Ich schluckte. Ich war nicht fähig, eine Antwort zu geben. Aber ich sah, dass sich Julie Ritter bemühte, so etwas wie ein Lächeln zu zeigen. Sie bewegte ihre Lippen, um mich anzulächeln, aber es fiel ihr so verdammt schwer. Ebenso wie die nächsten Worte, die für mich nichts anderes als ein Abschied waren.
    »Es war trotz allem sehr schön für mich, dich kennen gelernt zu haben, John. Das musst du mir glauben. Das ist wirklich ehrlich gemeint und von Herzen gesprochen.«
    »Ja, Julie, das glaube ich dir«, sagte ich mit
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