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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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vereinten Kräften legten sie mich auf dieses Ding.
    Die Fahrt durch die leeren und schwach beleuchteten Flure war ziemlich unangenehm. Als wir dann in ein Zimmer mit Festbeleuchtung kamen, mußte ich die Augen zusammenkneifen.
    Ein chirurgischer Eingriff war nicht nötig. Warum wurde ich also in den Operationssaal gebracht? Ich hob den Kopf leicht an und kapierte.
    Der Arzt stand vor mir, aber er war nicht alleine. Zwei Männer in Regenmänteln waren bei ihm, auf dem Kopf graue Schlapphüte. Man hätte sie für Brüder halten können. Wirklich komische Brüder, die beiden.
    „Wie geht’s Ihnen?“ fragte mich einer der beiden und trat näher.
    Sein Gesicht war von geplatzten Äderchen durchzogen. Glattrasiert, lässiges Benehmen, alles in allem eine vornehme Erscheinung. Daran konnte weder sein vorschriftsmäßiger Gabardinemantel — unter dem ein Abendanzug zu sehen war — noch sein häßliches rotes Gesicht etwas ändern. Der Mann war zur Kontrolle von Spielkasinos abkommandiert worden, oder aber man hatte ihn beim Erfüllen gesellschaftlicher Pflichten gestört.
    „Der Doktor hat mir erlaubt, Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Fühlen Sie sich in der Lage, mir zu antworten?“
    Wie rücksichtsvoll! Beinahe wäre ich vor Rührung in Ohnmacht gefallen. Ja, er konnte loslegen.
    „In Perrache ist vor ein paar Stunden ein Mann umgebracht worden“, begann er. „Er hatte sich vorher an Ihr Abteilfenster geklammert. Überflüssig Sie zu fragen, ob sie ihn kannten, nicht wahr? Wir haben seine Visitenkarte von der Agentur Fiat Lux bei ihm gefunden. Und auf dem Weg hierher — wir wollten lediglich den ehemaligen Kriegsgefangenen verhören, der so unglücklich aus dem Zug gesprungen war — also, unterwegs habe ich erfahren, daß Sie Nestor Burma sind, der Chef dieser Agentur. Ist das richtig?“
    „Ja. Wir sind sozusagen Kollegen.“
    „Hm... Na ja. Mein Name ist Armand Bernier. Kommissar Bernier.“
    „Angenehm. Meinen kennen Sie ja schon. Ist Bob tot?“
    „Bob? ... Ach ja, Colomer... Ja, er wurde von 32er Kugeln durchlöchert. Was hat er Ihnen gesagt, als er am Fenster hing?“
    „Nichts Besonderes. Daß er sich freue, mich wiederzusehen.“
    „Waren Sie mit ihm verabredet? Ich meine... Wußte er von Ihrer Heimkehr? Von Ihrem Aufenthalt in Lyon?“
    „Aber natürlich“, antwortete ich lachend. „Die Verwaltung meines Stalags hatte mir die Erlaubnis gegeben, ihm die Frohe Botschaft zu kabeln.“
    „Lassen wir die Scherze, Monsieur Burma! Ich versuche, Ihren Angestellten zu rächen, verstehen Sie?“
    „Kollaborateur.“
    „Was? ... Ach so, Sie meinen, er hat mit Ihnen zusammengearbeitet? Also gut... Sind Sie sich zufällig begegnet?“
    „Ja, rein zufällig. Hab ihn auf dem Bahnsteig gesehen und ihn gerufen. Der Teufel soll mich holen, wenn ich ihn da erwartet hätte, um zwei Uhr morgens. Er hat verdammt lange gebraucht, um mich zu erkennen. Bin wohl dicker geworden... Naja, Bob hat sich so gefreut, daß er aufs Trittbrett gesprungen ist. Auf dem Bahnsteig war die Hölle los. Ich hab keine Schüsse gehört, hab nur diesen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, ungläubig, überrascht. So was sieht man. Als er dann auf dem Boden lag, hab ich die Löcher in seinem Mantel bemerkt...“
    „Haben Sie einen Verdacht?“
    „Überhaupt keinen. Ich verstehe das Ganze nicht, Kommissar. Komm grade aus der Gefangenschaft zurück und...“
    „Natürlich, natürlich. Wann haben Sie Ihren Mitarbeiter zum letzten Mal gesehen?“
    „Bei der Kriegserklärung. Ich hab die Agentur dichtgemacht und bin ,eingerückt’. Colomer hat sich wohl auf eigene Faust um ein paar kleinere Fälle gekümmert.“
    „Wurde er nicht eingezogen?“
    „Nein, er wurde ausgemustert. War nicht besonders robust. Irgend etwas stimmte nicht mit den Lungen
    „Hatten Sie zwischendurch Verbindung zu ihm?“
    „Hin und wieder ‘ne Karte. Dann kam ich in Gefangenschaft.“
    „Interessierte er sich für Politik?“
    „Also, bis September 39 nicht.“
    „Und danach?“
    „Keine Ahnung. Würde mich aber wundern.“
    „War er reich?“
    „Wollten wir nicht die Scherze lassen, Kommissar?“
    „Also pleite?“
    „Schon eher. Vor ein paar Jahren hatte er einige Francs sparen können und sie angelegt... und der Bankier ist abgehauen. Seitdem hat er sein Geld immer stehenden Fußes ausgegeben. Lebte von einem Tag auf den andern.“
    „Wir haben mehrere tausend Francs bei ihm gefunden, in der Mehrzahl neue Scheine...“
    „Dazu kann ich
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