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1133 - Der Mönch mit den Totenaugen

1133 - Der Mönch mit den Totenaugen

Titel: 1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
Autoren: Jason Dark
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blind. Ich weiß es auch nicht genau, aber ich weiß nur, daß er trotz seiner toten Augen in der Lage ist, etwas zu sehen. Er… er… kann mir auf den Grund der Seele schauen, und ich weiß nicht einmal genau, was er von mir will. Es könnte sein, daß er mich töten will, aber das kann ich nicht so recht glauben. Wenn es so wäre, hätte er es längst getan. Er will etwas anderes von mir, und ich weiß nicht, was es sein könnte.« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Aber er findet mich. Es gibt zwischen ihm und mir eine Verbindung. Es ist schlimm für mich, nicht die Spur einer Ahnung zu haben.«
    »Hast du einen Nachnamen?« fragte ich.
    »Nein. Oder ja. Ich wurde nur Alissa genannt.«
    »Aber in der Schule…«
    »Ja, man gab mir einen Namen. Baldi. Alissa Baldi. Mehr weiß ich nicht. Die Schwestern im Waisenhaus haben den Namen erfunden. Alles andere ist mir unbekannt.«
    Wir gingen an der langen Reihe der Waggons entlang. Von den beiden Typen, die mich angemacht hatten, war nichts zu sehen. Die Stille um uns herum hatte etwas Bedrückendes. Ich hatte das Gefühl, daß etwas passieren könnte.
    Auch Alissa war unruhig geworden. Sie blieb stehen, was Ignatius und mich überraschte.
    »Gibt es Probleme?« fragte der Mönch.
    Alissa zuckte mit den Schultern. »Ich kann es nicht sagen, nicht genau, verstehst du?«
    »Sondern?«
    »Ich fühle es, Father. Es ist etwas da!« Sie drehte sich auf der Stelle. Unter ihren Füßen knirschten die Schottersteine.
    Alissa hob langsam den rechten Arm. »Er ist hier«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Ich… ich… weiß es genau. Ich sehe ihn nicht, aber ich kann ihn spüren.« Sie schauderte zusammen. Dabei blickte sie mal Ignatius an und mal mich. Ständig wechselte ihr Blick hin und her. Aber sie schaute auch in die Umgebung und zum dunklen Himmel.
    »Siehst du was, John?«
    »Nein, aber…«
    »Was ist mit aber?«
    »Moment.« Ich wollte einen Test machen und knöpfte das graue Wollhemd auf. Sicher war ich mir nicht, aber ich hatte für einen Moment den Eindruck gehabt, als hätte sich auf meiner Brust das Kreuz durch einen kurzen Wärmestoß gemeldet.
    Alissa und Ignatius schauten zu, wie ich die Kette über den Kopf streifte. Die Augen der jungen Frau weiteten sich, als sie mein Kreuz erblickte. Sie sah aus wie jemand, der Ehrfurcht davor hatte.
    Auf der flachen Hand ließ ich es liegen.
    »Tut sich was, John?«
    »Faß es selbst an.«
    Mit den Fingerspitzen seiner Rechten strich er über das Metall hinweg. Er mußte etwas festgestellt haben, denn seine Augen leuchteten plötzlich auf, und mit einem tiefen Atemzug saugte er die Luft ein.
    »Ja, es ist warm.«
    »Wovon redet ihr?« fragte Alissa. »Was hat das zu bedeuten? Was ist mit dem Kreuz?«
    Ignatius lächelte ihr zu. »Es ist so etwas wie ein Indikator«, erklärte er. »Wenn es sich erwärmt, und das ist hier der Fall gewesen, dann befindet sich tatsächlich jemand in der Nähe, der uns Böses will. Der auch von der anderen Seite gekommen ist.«
    »Wer kann das sein?« Sie gab sich selbst die Antwort. »Etwa der Mönch mit den Totenaugen?«
    »Das denken wir.«
    Auch mir fiel keine andere Möglichkeit ein. Aber die Gestalt war raffiniert. Sie zeigte sich nicht. Sie hielt sich geschickt im Hintergrund und schien uns zu belauern.
    »Was spürst du denn, Alissa? Du hast ihn doch als erste hier gespürt.«
    »Das kann ich nicht so genau sagen. Es war einfach da. Ein plötzliches Wissen, verstehst du? Es kam über mich. Ich kenne das, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen.«
    Was immer sie auch sagte und wie recht sie mit allem hatte, gewisse Strömungen konnte sie einfach nicht beweisen. Da mußten wir ihr einfach Glauben schenken. Sie war auch unruhiger geworden und wollte nicht mehr bei uns bleiben. Mit zwei schnellen Schritten war sie zur Seite gegangen und blieb stehen. Alissa wirkte wie jemand, der auf etwas Bestimmtes fixiert ist und danach Ausschau hält. Sie wollte etwas sagen, als sie sich wieder zu uns umdrehte. Wir konnten jede ihrer Bewegungen genau verfolgen, und wir ließen auch ihr Gesicht nicht aus den Augen. Deshalb sahen wir auch, daß sich ihr Blick veränderte. Alissa stand weiter von der Schlange des Waggons entfernt als wir, und sie hob wieder einmal ihren Arm, um in die Höhe zu deuten. Nicht gegen den Himmel, sondern woanders hin.
    »Da ist er…«
    Leise gesprochene Worte. Eine zitternde Stimme. Das Staunen und die Angst in den Augen. Alles ging so langsam, schon zeitlupenhaft, und wir
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