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105 - Das indische Tuch

105 - Das indische Tuch

Titel: 105 - Das indische Tuch
Autoren: Edgar Wallace
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an jenem Unglücksabend nicht lange hier. Soviel ich weiß, fuhr er um zehn Uhr fort.«
    Der kurze Einblick in das Leben auf Marks Priory sagte Tanner nichts. Die große Eingangshalle wurde gerade repariert; Gerüste waren an den Wänden aufgestellt, und Kelver zeigte ihm die einzelnen Steintafeln, auf denen die Familienwappen der Lebanons und ihrer Gemahlinnen eingemeißelt waren.
    »Mylady ist eine Autorität auf dem Gebiet der Heraldik«, erklärte der Butler. »Sie kann die Bedeutung eines Wappens lesen, als ob es eine gewöhnliche Buchseite wäre. In diesen Dingen hat sie wirklich erstaunliche Kenntnisse. Wie Sie wissen, führt die Familie Lebanon ihren Stammbaum auf die ältesten Zeiten zurück. Der erste Lebanon wurde von König Richard I. geadelt.«
    »Interessant«, entgegnete der Chefinspektor, der darin wenig bewandert war. »Was können Sie mir nun von Studd erzählen?«
    Kelver schüttelte den Kopf.
    »Wegen dieses Verbrechens habe ich nächtelang nicht schlafen können. Studd war ein wirklich liebenswürdiger und freundlicher Charakter.«
    Wenn man Kelvers Worten trauen konnte, hatte er nichts gesehen und gehört und erst von dem Tod des Chauffeurs erfahren, als ein Polizist den Mord im Schlosse meldete. Er lobte den Toten in jeder Weise und sagte, daß der Mann unmöglich einen Feind gehabt haben könnte.
    Sergeant Totty hatte inzwischen die anderen Dienstboten vernommen, von ihnen aber nur dasselbe gehört.
    Der Mord war bereits vor sechs Tagen geschehen, und es war schwer, neue Anhaltspunkte zu finden.
    Tanner betrachtete die Fotografie Studds, dann untersuchte er das rotseidene Tuch, mit dem der Mann erwürgt worden war, und nahm es später mit nach Scotland Yard. In der einen Ecke des Gewebes war eine winzige Zinnplatte eingenäht, auf der einige Worte in Hindostani standen. Die Übersetzung ergab, daß es sich um den Namen des Fabrikanten handelte.
    Der Chefinspektor sprach mit dem jungen Lord und stellte mehrere Fragen an ihn; aber Willie konnte ihm auch keine Erklärung geben. Er hatte Studd geschätzt und gern um sich gehabt, aber das hatte Tanner bereits von dem Butler erfahren. Der Tod des Chauffeurs schien Willie Lebanon sehr nahegegangen zu sein.
    Die dritte wichtige Person traf Tanner, als er quer über die Felder nach dem Dorf ging und Isla Crane ihm mit schnellen Schritten entgegenkam. Sie wäre an ihm vorübergeeilt, wenn er sie nicht angehalten hätte.
    »Verzeihung, Sie sind doch Miss Crane. Ich bin Chefinspektor Tanner von Scotland Yard.«
    Zu seinem größten Erstaunen wurde sie bleich und sah ihn entsetzt an. In seiner Praxis war ihm dies schon öfters begegnet. Leute, die unerwartet mit der Polizei in Berührung kommen, benehmen sich sonderbar, ganz gleich, ob sie unschuldig oder schuldig sind. Aber er hatte nicht vermutet, daß eine junge, vornehme Dame in solche Erregung geraten würde.
    »Ach ja, mir hat jemand gesagt, daß Sie von der Polizei sind.
    Sie wollen hier Nachforschungen über Studds Tod anstellen? Der arme Mann tut mir wirklich leid.«
    »Sie wissen wahrscheinlich nichts über den Mord?«
    »Nein.«
    »Können Sie mir sonst irgendeine Aufklärung geben?«
    Sie schüttelte den Kopf, noch bevor er ausgesprochen hatte, und ging schnell an ihm vorbei.
    Sergeant Totty beobachtete sie, bis sie außer Sicht war, dann wandte er sich an seinen Vorgesetzten.
    »Merkwürdig, was?«
    »Das kann ich nicht finden. Ich habe schon viele Menschen gesehen, die sich in solchen Fällen ähnlich benommen haben. Für Leute ihres Standes muß es eine große Enttäuschung bedeuten, plötzlich mit einem Mord zu tun zu haben.«
    Trotzdem war Tanner sehr nachdenklich, als er weiterging.
    In der großen Säulenhalle vor dem Haupteingang von Marks Priory traf Isla Gilder, der auf einem Stuhl saß und Zeitung las.
    Er stand sofort auf, als sie näher kam, und sah sie prüfend an.
    »Haben Sie den Polizeibeamten gesehen?« fragte er streng.
    »Meinen Sie den Detektiv?«
    »Ja. Hat er Sie ausgehorcht?«
    Sie verstand nicht gleich, was er wollte.
    »Hat er Fragen an Sie gerichtet, Miss?«
    Seine tiefe Stimme beunruhigte sie.
    »Ja, er fragte mich, ob ich etwas von dem Mord wüßte. Das war alles.«
    Sie wandte sich rasch um und ging ins Haus. Lady Lebanon saß in der großen Halle an ihrem Schreibtisch. Ganze Tage brachte sie damit zu, alte heraldische Inschriften zu studieren. Im Lateinischen war sie glänzend bewandert, und das Altenglische beherrschte sie vollendet wie wenige andere.
    Als sie
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