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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser
Autoren: Stefanie Gercke
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Mannschaft. Jeden Einzelnen kannte er seit vielen Jahren, kannte ihre Frauen und Kinder. Sie waren seine Familie. Er suchte, bis ihm die Augen tränten. Er entdeckte niemanden. Der Ozean hatte sie alle verschlungen.
    Erst nach Minuten brachte er den Mut auf, sich nach seinem Schiff umzusehen. Mit herausgerissenen Eingeweiden hing es, mitten in der schäumenden Gischt festgekeilt, auf den Felsen. Die Aufbauten waren vollkommen zerstört, in der Bordwand klaffte ein riesiges Loch. Mit stummer Verzweiflung beobachtete er, wie ein großer Teil der Ladung herausgespült und zum Spielball der Brandungsbrecher wurde. Welle auf Welle schlug gegen den Rumpf, brach Stück für Stück heraus, und langsam starb sein Schiff.
    Als er es nicht mehr ertragen konnte, wandte er sich ab, barg seinen Kopf in den Armen und weinte. Er war so abgekämpft, so sterbensmüde, und der Schlaf lockte mit Ruhe und Vergessen. Er wehrte sich nicht mehr.
    Mit einem Rest seines Bewusstseins erinnerte er sich an Geschichten über Grausamkeiten der Schwarzen dieser Gegend gegen hilflose Fremde und die Furcht erregenden Dinge, die man ihm über menschenfressende Löwen und Leoparden, die hier in großer Zahl herumstreifen sollten, erzählt hatte.
    Er blinzelte hinauf zu dem undurchdringlichen Küstenwald, überlegte, ob die Raubkatzen sich tatsächlich auf den offenen Strand wagen würden, und schlief ein.

    *
Die Sonne stieg und vertrieb die Sturmwolken. Der Orkan war jetzt nicht mehr als ein starker Wind und zog sich in den Süden zurück. Das aufgewühlte Meer beruhigte sich, die meterhohen Wogen schrumpften zu kabbeligen Wellen.
    Als die Sonne im Zenit stand, wachte Johann Steinach auf und glaubte, ihm würde der Kopf platzen. Er lag noch immer auf dem Bauch am Strand, stellte er fest, obwohl er meinte, jetzt
    näher am Rand des Büschs zu sein. Vorsichtig bewegte er Arme und Beine. Die Schmerzen, die dabei durch seinen Körper schössen, waren teuflisch und entlockten ihm ein Stöhnen, aber zeigten ihm immerhin, dass er offenbar noch im Besitz aller Gliedmaßen war. Auf seiner Haut waren Salz und Sand zu einer Kruste getrocknet, und auf jeder unbedeckten Stelle hatte die Sonnenhitze Blasen gezogen. Er war nackt bis auf seine Hose, die aber nur noch aus Fetzen bestand. Durch einen Schlitz seiner mit Salz und Schleim verklebten Lider versuchte er, seine Umgebung zu erkennen. Er spähte hinüber zu seinem Schiff. Es war verschwunden. Ein paar Holzplanken wirbelten in den Wellen herum, der Mast war angeschwemmt worden.
    Er schielte nach vorn über den Sand, entdeckte Spuren unmittelbar vor seinem Gesicht und erstarrte wie vom Donner gerührt, als ihm klar wurde, dass es Fußspuren waren. Menschliche Fußspuren. Während er geschlafen hatte, waren Menschen gekommen, um ihn herumgegangen und vor ihm stehen geblieben. Ob sie sich wieder entfernt hatten, konnte er nicht ausmachen. Die übrigen Abdrücke waren verwischt. Er wagte nicht, sich zu rühren, tat so, als schliefe er noch, gewiss, von einer Horde feindseliger Schwarzer umringt zu sein. Fieberhaft überlegte er, wie er seine Haut retten konnte.
    Da lachte jemand vergnügt, ein glucksendes Lachen tief in der Kehle, und er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Ohne den Kopf zu bewegen, schaute er sich verstohlen um. Und dann sah er die Füße, die diese Spuren gemacht hatten. Sie gehörten einem Burschen, der ein paar Schritte entfernt auf einem angeschwemmten Baumstamm hockte. Neben ihm lehnten ein Speer und ein kräftiger Stock mit einer soliden Holzkugel an einem Ende. Sonst trug er keine Waffe. Mit einem schnellen Blick in die weitere Umgebung vergewisserte Johann sich, dass der Junge allein war.
    Von schwarzen Horden war nichts zu sehen. Er setzte sich auf, unterdrückte stoisch jeglichen Schmerzenslaut. Man erzählte sich, dass diese Wilden die unglaublichsten Schmerzen klaglos ertrugen. Er wollte nicht gleich von Anfang an als Memme dastehen.
    9
    Sein Blick traf den des jungen Schwarzen, der ihn ohne Feindseligkeit ebenso neugierig betrachtete wie er ihn. Seine Muskulatur war gut ausgebildet, er hatte breite Schultern und die langen, sehnigen Beine eines Läufers. Johann schätzte ihn auf ungefähr sechzehn Jahre. Das Einzige, was er trug, waren Schnüre um seine Hüften, an denen vorn und hinten buschige Wildkatzenschwänze seine Genitalien verdeckten. Der Schwarze betrachtete ihn ruhig, und mit Unbehagen wurde Johann klar, was dieser vor sich sah.
    Einen weißen Mann, hilflos im
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