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1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

Titel: 1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Autoren: Petra van Laak
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jede Meinung muss gehört werden, und sei sie noch so abstrus. Nur konstruktive Kritik ist erlaubt. Es wird so lange diskutiert, bis es eine für alle akzeptable Lösung gibt. Die Ergebnisse des Familienrats werden schriftlich festgehalten, in unserem Fall in einem mittlerweile arg zerknitterten Heft aus holzhaltigem Papier. Es ist ein polnisches Schulheft für das Fach Religion, auf dem Cover breitet ein in Pastelltönen ausgemalter Jesus seine Arme gütig aus und schaut versunken auf einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen, die ihn kniend anbeten. Darüber steht in roten Lettern »Religia«. Wir fühlen unsere im Inneren des Schulheftes aufgeskribbelten Lösungen jedenfalls gut behütet, und wenn wir ab und an zurückblättern, nicken wir zufrieden über all die guten Kompromisse, die wir im Laufe der Zeit gefunden haben.
    Da steht zum Beispiel das Anliegen von Millie: »Frieda packt abends spät ihren Schulranzen, wenn ich schon schlafe. Das stört mich.« Daneben steht die gemeinsam gefundene Lösung: »Frieda darf bis 19 Uhr 30 in ihren Sachen wühlen. Sonst muss sie morgens eine Viertelstunde früher vom Frühstück aufstehen und kann dann ihren Ranzen packen.« Frieda, die als Morgenmuffel ein ausgiebiges Frühstück sehr schätzt, schwenkte nach zwei Versuchen, den Ranzen morgens zu packen, zur abendlichen Variante bis 19 Uhr 30 zurück. Eine andere Beschwerde im Familienrat-Heft lautet: »Mama lässt überall ihre leeren oder halbvollen Kaffeetassen stehen. Igitt.« Der Familienrat beschloss, dass ich für jede stehengelassene Tasse einen Euro in die Haushaltskasse, Abteilung Gummibärchen, zu zahlen habe. Mir wurde jedoch eine Übergangsphase von zwei Wochen zugestanden, in der ich mir meine Unsitte abgewöhnen konnte. Ich gab mir sehr viel Mühe. Trotzdem gab es in jenen Wochen viele Gummibärchen.
    Mit dem noch ungenauen Vorhaben meiner Selbständigkeit im Kopf holte ich jetzt alle mit dem Vermerk »sehr wichtig« zum Familienrat zusammen. Wir besprachen ausführlich, was der Schritt von der Jobberin zur Einzelunternehmerin für uns alle bedeuten könnte. Ich würde weniger Zeit für die Familie haben, gleichzeitig gäbe es die sonnige Chance, endlich wirtschaftlich auf einem besseren Fundament zu stehen. Aber auch das Risiko wurde von den Kindern gesehen.
    »Dann weißt du ja auch nicht, ob du genug Kunden hast.«
    »Ist doch egal, weniger Geld als jetzt haben wir dann bestimmt nicht.«
    »Aber worin bist du denn richtig gut, Mama, außer Pfannekuchen backen?«
    »Manno, Till, das weißt du doch! Mama hilft uns immer bei Deutsch und Englisch.«
    Ja, womit genau sollte ich mich selbständig machen? Die Filmwirtschaft hatte mir bei all meinen Gelegenheitsarbeiten bisher die größte Kontinuität geboten. Das Bearbeiten von Dreh- und Dialogbüchern konnte eine der Säulen für mein Business werden. Texte schreiben, das käme ergänzend hinzu. Gute Texte werden überall gebraucht, dachte ich mir. (Wie sehr ich recht behalten sollte.)
    Nun ging es um den richtigen Standort. Die aktuellen Rahmenbedingungen unseres Wohnortes waren denkbar ungünstig. Für mein geplantes Vorhaben brauchte ich die Nähe zur Filmwirtschaft, eine bessere Wohnung, in der ich zunächst mit einem Home-Office beginnen konnte, kürzere Schulwege für die Kinder und eine verlässliche und kontinuierliche Betreuungsstruktur, am besten eine Ganztagsschule. Die aktuelle Schule der Kinder lag in einem gediegenen Stadtteil Berlins. In diesem Umfeld konnten wir uns weder eine Wohnung leisten noch gab es eine passende Infrastruktur, um alle vier Kinder dauerhaft tagsüber gut betreut zu wissen.
    Wie anders sah das alles in dem Städtchen aus, das mir strategisch gesehen passend erschien! Es gab einen auch bis spätabends geöffneten Schulhort, es gab selbstverständlich eine Schulspeisung, die weiterführende Schule war eine Ganztagsschule, die Schulwege waren alle kurz und der öffentliche Nahverkehr so gut ausgebaut, dass ich kein Auto benötigen würde. Im Gegensatz zum Moloch Berlin gab es überschaubare Wirtschaftsstrukturen, in die ich mich schnell würde einarbeiten können. Auch nicht ganz unwichtig: Ich würde dort ein unbeschriebenes Blatt sein. Das Etikett »Vierfache Mutter auf dem Selbstverwirklichungstrip«, das mir mein wohlhabendes ehemaliges Umfeld verpasst hatte, würde mir in der neuen Stadt nicht anhaften. (Im Gegenteil: Dort erfuhr ich dann von Anfang an eine Würdigung des bisher von mir Geleisteten und
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