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0992 - Der Judasbaum

0992 - Der Judasbaum

Titel: 0992 - Der Judasbaum
Autoren: Jason Dark
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lag zusammengerollt auf dem Boden und würde erst gebraucht werden, wenn es regnete. Danach sah es nicht aus.
    Rocky wartete so lange, bis Harry in das Boot gestiegen war. Erst dann sprang er hinein und hockte sich am Heck nieder, wobei er mehrmals den Kopf drehte, um sich die Umgebung anzuschauen. So ganz geheuer schien ihm die Sache nicht zu sein.
    Das war sie auch Harry nicht. Es ging ihm dabei nicht allein um den Killer, er bezog die Umgebung noch mit hinein, die einen schlechten Ruf in dieser Gegend Nordostdeutschlands hatte, weil sich schon seit vielen Jahren oder Generationen hinweg eine Geschichte hielt, die sich um einen besonderen Baum drehte, der von den Einheimischen nur Judasbaum genannt wurde.
    Diese Gedanken überkamen Harry nur am Rande, obwohl er sich sagte, daß er, seit er sich auch mit diesen besonderen Fällen beschäftigte, immer wieder darüber stolperte. In diesem Fall jedoch hatte Bruno Zacharias Vorrang, und um den Baum würde er sich wohl kaum kümmern, obwohl es ihn schon reizte, ihn zu sehen, den Beschreibungen nach sollte er eine ungewöhnliche Form haben und mehr an eine Riesenhand erinnern als an einen Baum.
    Harry schaute hoch. Läufer hockte auf dem Steg. Er hielt mit einer Hand das Tau umfaßt, um es zu lösen.
    »Ich bin soweit.« Harry saß auf der Bank am Heck und wartete darauf, den Motor anlassen zu können.
    Läufer löste das Tau, warf es in das Boot hinein, und das war der Moment, wo Harry den Motor anließ. Er mußte zweimal am Band zerren, dann hörte er das Knattern und sah wie die Schraube das grünbraune Brackwasser aufwühlte.
    Rocky bellte leise, weil ihm das Geräusch nicht gefiel. »Tut mir leid, Alter, du wirst dich schon daran gewöhnen müssen.« Harry legte ab, und der Bug schnitt in die fast bewegungslose Fläche des Wassers hinein, auf der nur hin und wieder einige tote Zweige schwammen oder abgebrochene Äste.
    Erich Läufer winkte dem Kollegen nach.
    Harry grüßte zurück. Das Abschiedslächeln fiel ihm dabei schwer, denn in seinem Magen lag ein verdammt komischer Druck, und dieses Gefühl hatte in noch selten getäuscht…
    ***
    Eine seltsame Stille lag über der Gegend. Die feuchte, leicht dunstige Herbstluft hatte die Natur träge werden lassen. Die wenigen, übriggebliebenen Insekten kämpften verzweifelt ums Überleben. Fliegen schienen einen doppelt so schweren Körper bekommen zu haben, und selbst die Schmetterlinge – sonst grazil und wendig – flatterten müde durch die schwere Luft, als suchten sie nach einem passenden Platz zum Sterben.
    Zu dieser Zeit brauchte es keinen Wind mehr, um die Blätter von den Bäumen zu lösen. Sie fielen von allein zu Boden und hatten auf der Erde einen Teppich gebildet, bei dem die düsteren Farben überwogen.
    Schwarze Vögel durchzogen die graue Luft. Andere waren längst in den Süden geflogen. Nicht aber die Raben und Saatkrähen. Sie blieben in Mitteleuropa, denn sie fanden auch im Winter genügend Futter.
    Die wilden Blumen waren längst verblüht. Die Hecken und Büsche hatten ebenfalls ihr Laub verloren und wirkten kahl und durchsichtig. Der Nebel schwamm über das Land und gab ihm den Anschein, als stünde es dicht davor, im Erdboden zu versinken, um nie mehr aufzuwachen.
    Auch die wenigen Dörfer und Ansiedlungen wirkten dabei wie in leichte Watte gepackt. Was im Sommer manchmal wie das Bild einer Postkarte, war um diese Zeit nur grau und hätte eher zu einem Begräbnis gepaßt. Aus dieser Szenerie ragte die alte Kirche mit den verwitterten Steinen wie ein Bau der Hoffnung hervor, obwohl auch sie längst vergessen erschien, denn das Gebäude, das praktisch zwischen mehreren kleinen Ansiedlungen stand, war in den letzten Jahren immer leerer geblieben, weil die Menschen jetzt andere Sorgen hatten und die Kirche nicht mehr als Ort des Gebets und der Konspiration ansahen, wie es noch zu DDR-Zeiten der Fall gewesen war.
    Der Glockenturm wurde von vier Säulen gestützt. Starke Arme aus Stein, die irgendwann einmal so verwittert sein würden, daß sie zusammenbrachen. Der Turm war ein Ziel, für die dunklen Vögel, die ihn immer gern umkreisten, auch an diesem Tag, wo der Dunst der Nacht und des frühen Morgens nicht hatte weichen wollen.
    Mir war es nicht so leicht gelungen, die kleine Kirche zu finden.
    Ich hatte mich durchfragen müssen und war vom Dunst überrascht worden, der alles irgendwie verfremdete.
    Zum Spaß war ich nicht unterwegs. Es hatte schon einen Grund, daß ich mich in Germany herumtrieb,
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