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0985 - Libertys Tränen

0985 - Libertys Tränen

Titel: 0985 - Libertys Tränen
Autoren: Simon Borner
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Bittsteller! Ihn! Dabei arbeitete er der Stadt und ihren Vertretern doch zu, verflucht noch mal. Wer kümmerte sich denn schon um die Zweihundertfünfzigjahrfeier? Wer sorgte denn dafür, dass New Yorks schönste und geschichtsträchtigste Insel ihr Jubiläum würdevoll und im angemessenen Rahmen begehen konnte? Ganz gewiss nicht dieser versoffene Roslyn aus City Hall, der zwar sein Kommen angekündigt hatte, um sich vor der Presse keine Blöße zu geben, den das Wohl und Wehe der hiesigen Gemeinde aber offenkundig so viel kümmerte wie ein Sack Reis in China.
    Nein, nein, nur er, Lyle, hielt City Islands Fahne hoch. Nur er war der Garant dafür, dass sie mit Anstand in die Zukunft ging.
    Und wie dankte New York ihm seinen Einsatz? Indem es ihn stehen ließ und zum Tagesgeschäft überging.
    Na, vielen Dank auch!, dachte er. Der Grimm, den Sipowicz’ Behandlung in ihm ausgelöst hatte, war noch immer nicht verflogen. So leicht würde er den arroganten Sergeant nicht davon kommen lassen. Diesen Fatzke vom Festland, der wohl meinte, hier draußen auf der Insel habe er es mit tumben Matschbirnen zu tun.
    »Sir, ich muss Sie bitten…«
    »Lassen Sie Ihre Finger von mir, sonst beiß ich sie Ihnen ab!«, blaffte Lyle den Coast-Guard-Beamten an, der die Dreistigkeit besessen hatte, zu versuchen, ihn aufzuhalten. »Der Sergeant erwartet mich, klar?«
    Das Milchgesicht schluckte und fügte sich der Autorität, mit der Lyle ihn angefahren hatte. Gut so.
    Ungehindert setzte der Kurator des Historischen Museums von City Island seinen Weg fort. Der Großteil der Beamten, die nach und nach zurück zu ihrem eigenen Boot strömten, kam von Bord einer besonders prunkvollen Jacht namens Libertys Tränen. Dort, so beschloss Lyle, würde er seine Suche nach Sipowicz beginnen - und wenn er ihn fand, würde er nicht wieder gehen, bis dieses Arschloch ihm endlich klipp und klar gesagt hatte, was er hören wollte!
    Niemand hielt ihn auf, als er die Jacht betrat. Niemand sah ihn auch nur verwundert an, als er sich der Kabinentür näherte. Alles eine Frage des Auftretens, wusste Lyle. Wirke überzeugend, und schon überzeugst du.
    Das Innere der Kabine sah aus, als sei eine Bombe aus Blut explodiert. Und es wimmelte in ihr nur so von Beamten. Manche fotografierten, andere sicherten Beweise. Der Sergeant stand inmitten des Gewühls und koordinierte die Arbeiten. Er sah Lyle nicht, und der Kurator beschloss, ihn erst dann zu konfrontieren, wenn er ein wenig mehr Luft hatte. Bis dahin würde er eben oben warten.
    Ohne den ekligen Tatort eines weiteren Blickes zu würdigen, stieg Lyle die schmale Stiege zum menschenleeren Obergeschoss des Kabinenhäuschens hinauf - und erstarrte! Das war doch…
    ... der schönste Kolonialspiegel, den ich je gesehen habe!
    Das Ding war atemberaubend. Ein gut einen Meter siebzig hoher Koloss aus dunklem, edlem und mit allerlei kunstvollen Schnitzereien verziertem Holz, in dessen Mitte ein ovaler, vielleicht einen halben Meter durchmessender Spiegel prangte, Es stand gleich oberhalb der Treppe, vis à vis von der Ledercouch und der Minibar, und lachte Lyle förmlich an.
    Je näher er trat, desto mehr Details offenbarten sich ihm: Die Schnitzereien entpuppten sich als stilisierte Darstellungen frühsiedlerischer Alltagsarbeiten. Lyle sah Landwirte, Krabbenfischer, Priester und Kapitäne - all das, was City Island zu Gründerzeiten geprägt und bestimmt hatte, war hier versammelt. Und zentral über dem Spiegel prangte eine Art Juwel, zumindest sah es so aus: ein vielleicht daumendicker, länglicher Edelstein oder so, der im Licht der Kabinendecke grün funkelte.
    Lyle starrte ihn an, fasziniert und auf merkwürdige Art ergriffen, und merkte kaum, wie plötzlich eine eigenartige Taubheit von ihm Besitz ergriff. Sein Blick glitt dann wie von selbst zum Spiegel weiter, und er sah…
    »Jennings? Verflucht, was machen Sie hier? Das ist ein Tatort, Mann!«
    Die Stimme des Sergeants riss Lyle zurück in die Wirklichkeit. Blinzelnd sah sich der Kurator um. Was war das eben gewesen - ein Filmriss? »W-Was? Wo…?«, stammelte er orientierungslos.
    »Auf meinem Tatort, Sie Irrer, da sind Sie!« Sipowicz, der plötzlich neben ihm stand - wo war der eigentlich hergekommen? -, ergriff seinen Arm und bugsierte Lyle zurück die Treppe hinunter. »Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich Sie einbuchten lasse. Wir müssen Täterspuren sichern, und, glauben Sie mir, Sie wollen nicht, dass das Ihre sind!«
    Erst als er wieder
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