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0959 - Der Fallbeil-Mann

0959 - Der Fallbeil-Mann

Titel: 0959 - Der Fallbeil-Mann
Autoren: Jason Dark
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legen.
    Der Henker hatte seine Macht verloren. Er war nur noch ein Bündel Angst.
    Ich bückte mich.
    Über mein Kreuz huschten Reflexe, die sich mit dem rötlichen Licht vermischten.
    Noch hielt der Teufel seinen Mantel über ihn, aber er war schwer geworden, sehr schwach.
    »Bitte, Mr. Sinclair, ich möchte Ihnen helfen!«
    In der gebückten Haltung drehte ich den Kopf. Die Oberin kam auf mich zu. Sie nickte bei jedem Schritt und erklärte, daß der Körper wohl für einen Menschen zu schwer war.
    »Ich schaffe es schon!«
    »Nein, ich muß dabeisein, verstehen Sie das? Ich muß es tun. Ich muß fühlen können, wie das Böse vernichtet wird. Es hat sich zu lange, viel zu lange schon halten können. Seine Zeit ist um, Mr. Sinclair, das spüre ich, und ich will dabeisein.«
    Ich hatte den Willen in ihren Augen gelesen. Ich wußte auch, was diese Frau durchlitten hatte. Auf eine gewisse Art und Weise hatte sie recht.
    Zwei ihrer Schwestern waren durch den verfluchten Henker geköpft worden. Jetzt war er an der Reihe.
    Er lag vor uns. Er jammerte nicht, als sein Körper zuckte, als hätte er Schläge bekommen. »So muß er auch damals ausgesehen haben, nachdem er das Gift meiner Vorgängerin getrunken hatte. Aber in dieser Nacht hilft ihm niemand mehr. Bucheron darf nicht mehr leben.« Nach diesen Worten wuchtete die Oberin die Beine des Mannes hoch, und ich umfaßte seine Schultern.
    Wir trugen ihn ein kurzes Stück. Er war verdammt schwer, als wäre der Körper mit Eisen gefüllt.
    Dann legten wir ihn unter das Fallbeil. Ich hörte ihn keuchen. Er bewegte seine Arme, aber es war wichtig, daß der Hals in die Mulde paßte, und das war der Fall.
    Ich stand noch gebückt, als ich ihn ansprach. »Es gibt keinen Ausweg für dich, Bucheron, keine Hilfe. Auch der Teufel hat dich verlassen. Er ist nicht Gott, der einen Menschen nie verläßt. Du bist den falschen Weg gegangen, und du wirst so sterben, wie du es verdient hast.«
    Ich richtete mich wieder auf und drehte mich um. Einen Schritt brauchte ich nur zur Seite zu gehen, um den Hebel zu erreichen, der durch das Umklappen das Fallbeil in Bewegung setzte.
    Dort stand schon jemand. Es war die Oberin.
    Ich wollte etwas sagen und sie von ihrem Tun abhalten, sie aber schüttelte den Kopf und kam mir zuvor. »Nein, Mr. Sinclair. Nein und nochmals nein. Ich habe das Recht.«
    »Aber…«
    Sie legte den Hebel um.
    Ich schaute nach unten und hörte zugleich das pfeifende Geräusch, als das Fallbeil in die Tiefe jagte. Sogar den Luftzug glaubte ich zu spüren, so dicht wischte sie an mir vorbei - und die Klinge traf haargenau den Nacken des Henkers.
    Glatt und sicher schlug sie ihm den Kopf ab!
    ***
    Ein leiser Schrei war zu hören. Als ich hinschaute, da sah ich, wie die Oberin abermals schwankte, als wollte sie den Boden unter den Füßen verlieren. Zum Glück stand das Fallbeil schwer genug auf dem Boden.
    So konnte sich die Frau daran festklammern, aber sie war bleich geworden, und sie rutschte langsam zu Boden.
    Keine ihrer Schwestern kam ihr zu Hilfe. Die Frauen waren geschockt.
    Sie hatten gesehen, was die Klinge angerichtet hatte. Der Kopf des Henkers war wie ein Ball nach vorn gesprungen und lag ein Stück von der Guillotine entfernt. Allerdings noch immer von der dunklen Kapuze bedeckt.
    Und noch etwas war geschehen. Es gab das rote Licht nicht mehr. Es war zusammengebrochen. Ein Zeichen dafür, daß der Teufel seinen Diener aufgegeben hatte.
    Schwer wie ein dicht geknüpftes Netz lag die Dunkelheit über dem Klostergarten.
    Hier hatte vor mehr als zweihundert Jahren das Grauen seinen Anfang genommen und hier hatte es auch sein Ende gefunden.
    Nein, noch nicht ganz.
    Bisher hatte ich das Gesicht des Henkers nicht gesehen. Ich wollte es mir anschauen. Dazu mußte ich die Kapuze entfernen. Die Lampe schaltete ich ein, als ich mich bückte. Blut war nicht zu sehen. Oder kaum. Am Halsende klebte eine dunkle Masse, die widerlich roch.
    Ich umfaßte die Kapuze und zerrte den Stoff nach oben. Um sie vom Kopf zu lösen, mußte ich schon beide Hände zu Hilfe nehmen und schaute dann in das Gesicht des Henkers.
    Genauer sah ich es, als ich den Strahl der Leuchte darauf richtete. Ich mußte schlucken, denn dieses Gesicht hätte ich nicht erwartet.
    Es war aufgedunsen, teigig. Es war das Gesicht eines Ertrunkenen, der lange Zeit im Wasser gelegen hatte. Die Farbe der Haut erinnerte mich an bleiches Hammelfett, und an bestimmten Stellen auf den Wangen und der Stirn hatten sich
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