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0942 - Die Prophezeiung des Uriel

0942 - Die Prophezeiung des Uriel

Titel: 0942 - Die Prophezeiung des Uriel
Autoren: Susanne Picard
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nicht die, die nach Vanille dufteten und damit nicht »würdevoll« genug, wie sie sich ausdrückte. Prompt hatte der Kunde sie misstrauisch angesehen und das Niesen angefangen, weil er den Duft des Rauchs nicht vertrug. Bei keinem ihrer Aufträge war der Satz »Diese Zeremonie ist nicht sehr würdevoll!« zutreffender gewesen. Dieser Kunde würde sicher nicht von ihrer Kompetenz und der Erhabenheit des Rituals schwärmen.
    Sie hatte die Räucherkerzen später nach längerer Suche im Chaos der WG-Küche in Gastons Sachen gefunden. Offenbar hatte er sie für eine Party mit seinen Kulissenschieber-Kollegen von der Pariser Oper gebraucht. Nach einem heftigen Streit - der mit einer wilden Versöhnung drei Zimmer weiter in ihrem Bett geendet hatte -, hatte er neue Weihrauchkügelchen besorgt.
    Dann war da der Fall mit der älteren Dame gewesen, die ihre vor Jahren verstorbene Schwester von der Hölle in den Himmel hatte lotsen wollen. Yasmina lehnte so etwas eigentlich ab, aber dann hatte sie sich gedacht, was soll's, und es versucht. Doch die alte Dame, die inmitten von Spitzendeckchen dasaß und Tee aus einer geblümten Kanne trank, kannte sich offenbar mit Beschwörungen aus. Yasmina zeichnete bei jedem ihrer Aufträge ein Sigill, von dem sie wusste, dass es keinen Dämon rief, auf den Teppichboden. Mitten in ihrem alt-türkischen Gesang hatte die alte Dame das Kreischen angefangen. Erst war Yasmina herumgefahren - hatte sie vielleicht wieder diesen absolut unheimlichen Uriel beschworen? Sie erwartete schon, dass die schöne, androgyne Gestalt sich hinter ihr befand, und fuhr herum, doch auch das war falsch gewesen. Die alte Dame hatte gesehen, dass Yasmina sich mindestens so sehr erschreckt hatte, wie sie und sehr richtig geschlussfolgert, dass das Medium nicht wusste, was es tat. Prompt hatte sie Madame Azari mit großem Gezeter hinausgeworfen.
    Und dann jetzt die Sache heute. Wieder einer, der sie und ihr Brimborium entlarvt und sie hochkant hinausgejagt hatte. Mann, das hätte gerade sie, eine Studentin der Orientalistik, sich doch denken können, dass ein Professor für Osmanistik altes Türkisch erkannte, wenn er es hörte! Ex-Studentin , dachte Yasmina schlecht gelaunt. Langsam wurde es peinlich. Yasmina überlegte. Vielleicht war es wirklich Uriel gewesen, der sie verflucht hatte? Wie hatte sein letzter Satz zu ihr geheißen? »Ich weiß, wir werden uns wiedersehen, Yasmina Azari. Bald schon.«
    Yasmina schnaubte. So gesehen hatte sie womöglich noch Glück gehabt. Den will ich gar nicht wiedersehen, der macht mir nur Angst. Und einen Todesengel wiederzusehen - das kann einfach nicht gut sein .
    Sie sah wieder auf die stille Vorstadtstraße hinaus. Die Dämmerung senkte sich tiefer auf Aulnay-sous-Bois herab, es wurde dunkel. Jetzt, wo die Lichter hinter den Fenstern und Glastüren angingen, verloren die Häuser ihren Schrecken für Yasmina, sie sahen im Gegenteil heimelig und gemütlich aus. Früher hatte Yasmina nie in einer solchen Vorstadtsiedlung leben wollen. Doch als sie die ordentlichen kleinen Häuser ansah, hinter denen jetzt an diesem schönen Juni-Abend langsam die Lichter eines nach dem anderen angingen, dachte sie sehnsüchtig darüber nach, dass diese spießbürgerliche Art zu leben zumindest Kleinigkeiten besaß, die für sie sprachen. Ruhe, keine Diskussionen über eine nicht aufgeräumte Küche und ein ungeputztes Bad oder zu laute Musik. Und vielleicht - man würde ja noch träumen dürfen - keine Frage, wie sie den nächsten Einkauf bezahlen sollte.
    Sie starrte auf den durch einen ordentlichen grünen Zaun eingeschlossenen Vorgarten des vor ihr liegenden Hauses. Eine schneeweiße Katze, an deren rotem Halsband eine goldene Münze zu hängen schien, saß auf dem Poller des Gartentors und glotzte sie aus bernsteinfarbenen Augen an. Jetzt hob sie die rechte Pfote an.
    Für einen Moment glaubte Yasmina, das Tier habe ihr zugelächelt und zugezwinkert, doch dann sah es wieder aus wie eine ganz normale Katze, die nur neugierig auf das bunte Auto vor ihr starrte. Yasmina schüttelte den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt glaubte sie schon, dass Katzen sie anlächelten. Dieser Uriel und das Pech der letzten Wochen hatten ihr wohl mehr Angst gemacht, als sie zugeben wollte! Sie drehte den Autoschlüssel, sie musste nach Hause. Der Wagen sprang knatternd an, der Motor hallte in der kleinen Straße wider. Die Katze schien sich zu erschrecken, sprang elegant von dem Poller herunter und
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