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0942 - Die blutige Lucy

0942 - Die blutige Lucy

Titel: 0942 - Die blutige Lucy
Autoren: Jason Dark
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aber überwand sie sich. »Wer bist du? Ich wußte, daß du kommen würdest. Ich habe dich gespürt. Du hast mir eine Botschaft geschickt. Ich weiß so vieles, aber ich weiß eigentlich nichts. Woher kommst du? Du siehst aus wie jemand, der aus dem Süden stammt. Du bist dunkelhaarig, vielleicht Grieche.«
    »Ich bin ein Phantom«, sagte er.
    »Ein Phantom? Ohne Namen?« fragte Lucy.
    »Ja.«
    »Aber du mußt doch eine Heimat haben.«
    »Ich bin ein Wanderer gewesen.«
    »Gewesen?«
    »Nein, noch immer.«
    »Wanderer sind auf der Suche«, sagte sie. »Bist du auch auf der Suche, mein Freund?«
    Der Blutsauger strich über sein Haar hinweg, als wollte er es noch mehr glätten. »Jeder ist auf der Suche. Auch ich. Ich suche das Blut. Ich suche nicht den Tod, denn ich will nicht vergehen. Ich suche die Zeit, ich suche das Leben - so, wie es mir gefällt. Ich war unvorsichtig, aber ich werde es nicht mehr sein. Man wird mich nicht mehr fangen und in einen Sarg stecken können, das lasse ich nicht zu. Ich werde auch weiterhin existieren und mich auf die Suche begeben.«
    Lucy nickte, ohne begriffen zu haben.
    Sie folgerte allerdings das Richtige.
    »Heißt das, daß wir beide nicht zusammenbleiben werden?«
    Er nickte ihr zu.
    »Wir trennen uns also?«
    »Ja.«
    »Es ist schade«, sagte sie.
    Er lächelte Lucy zu. »Du brauchst keine Sorge zu haben. Wenn du vorsichtig bist, wirst du auch weiterhin existieren. Wenn nicht, dann brauchst du dich auch nicht zu sorgen, denn du hast mich gerettet, und irgendwann, das weiß ich genau, wird einmal der Zeitpunkt kommen, wo ich mich revanchieren kann. Dann werde ich dich retten, Lucy, das verspreche ich dir. Dann bin ich plötzlich bei dir, obwohl du mich zuvor nicht gesehen hast. Verstehst du?«
    »Nicht so richtig«, flüsterte sie.
    »Ich lasse dich deinen Weg gehen. Du wirst ihn schaffen. Du wirst das Blut trinken können. Es gibt genügend Menschen, und es wachsen immer neue nach. Aber im Hintergrund schwebe ich.« Er nickte ihr zu, sprach nicht mehr weiter, aber sie wußte, daß es ein Abschied war. Sie schaute hoch, als er aufstand, zu ihr kam und sie ebenfalls auf die Füße zog. Sie standen sich gegenüber und starrten sich an.
    Er war alt und trotzdem jung. Sein Gesicht wirkte nicht sehr männlich, eher etwas weich und aufgedunsen. Dabei locker und lässig. In seinen dunklen Augen lag ein Ausdruck, der auf Frauen wirkte.
    Überhaupt zog er Frauen an. Er wirkte weich und animalisch zugleich, einen wie ihn konnte es normalerweise nicht geben, denn er war ein Phantom.
    Genau…
    »Wir werden uns jetzt trennen«, sagte er und strich mit seinen Fingern durch Lucys Gesicht. Erst jetzt fiel ihr auf, daß seine Nägel dunkel waren, als hätte er sie geschwärzt. »Trennen und trotzdem zusammensein, denn du wirst deinen Weg gehen, wie ich den meinen gehen werde. Ein Phantom der Zeit, ein Blut-Phantom.« Er beugte sich vor, zog die Lippen zurück und strich mit seinem beiden Vampirzähnen über ihre linke Halsseite hinweg, so daß Lucy von einem Schauder gepackt wurde, den sie sich kaum erklären konnte.
    Sie wußte auch, daß es keinen Sinn hatte, ihn zum Bleiben zu überreden. Er war der einsame Wolf.
    Der Einzelgänger auf dem Weg ins Leben und durch die Hölle.
    Deshalb nickte sie nur.
    Der Blutsauger ließ sie los. Er breitete die Arme aus, dann drehte er sich von ihr weg und schritt wortlos durch die Halle auf die breite Tür zu.
    Jedes Aufsetzen des Fußes hinterließ ein Echo und war für Lucy Tarlington ein Abschiedsgruß.
    Jeder noch so laute Ruf hätte ihn nicht aufhalten können, auch eine flehentlich vorgetragene Bitte würde es nicht schaffen.
    Er legte die Hand auf die schwere Klinke und zog die Tür auf. Bevor er nach draußen in die Kälte ging, schaute er sich noch einmal um und winkte ihr mit einer Hand zu.
    Damit verließ er das Haus. Er betrat die Treppe, eilte die Stufen hinunter. Die graue Dämmerung umgab ihn wie ein Schleier, in dem sich seine Gestalt aufzulösen schien.
    »Nein!« keuchte Lucy plötzlich. »Nein, nein und nein!« Sie wollte es nicht wahrhaben. Deshalb rannte sie mit langen Schritten durch die Halle. Das lange Kleid mußte sie raffen, um nicht zu stolpern, doch auf der Schwelle rutschte sie aus und fiel über sie hinweg. Sie glitt bäuchlings den Stufen entgegen, kippte nach vorn und stemmte sich auf die Knie.
    Er hatte die Treppe schon hinter sich gelassen und war dabei, den Weg zu den Klippen einzuschlagen.
    Sie schrie hinter ihm her.
    Er
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