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0938 - Rabenherz

0938 - Rabenherz

Titel: 0938 - Rabenherz
Autoren: Oliver Fröhlich
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den Hinweis.«
    Die Erkenntnis, dass das Amulett funktionierte, war die Sauerei im Zauberzimmer wert, fand der Professor. Auch wenn er im Augenblick des Angriffs das Gefühl gehabt hatte, innerhalb eines Sekundenbruchteils einen Fünfzigmetersprint hinter sich gebracht zu haben.
    Was geschah, wenn er es mit zahlreichen Gegnern zu tun bekam und die Attacke befahl? Um wen würde sich die Silberscheibe zuerst kümmern? Um den Feind, der am nächsten stand? Um den Bösesten? Zufallsauswahl?
    Das würde die Zukunft zeigen, denn mehrere Dämonen unterschiedlicher Gefährlichkeit wollte er für einen Test dann doch nicht beschwören.
    Zamorra wischte sich einen braunen Schmierer von der Wange. »Ich gehe mich duschen und zieh mir etwas Frisches an.«
    Da hallte ein Schrei durch das Château.
    Für einen Wimpernschlag sahen sie sich schweigend an. Dann sagten sie gleichzeitig: »Rhett!«
    Und liefen los!
    ***
    Dunja Bigelow stand an der vollverglasten Front ihrer Penthouse-Wohnung und schaute auf New York herab. Das Häusermeer zu ihren Füßen würde ihr fehlen, wenn sie in zwei Wochen nach Maine zog, aber es ließ sich nicht vermeiden. Sie hatte sich schon viel zu lange den neugierigen Blicken der Nachbarn ausgesetzt.
    Vor zwölf Jahren hatte sie diesen Traum einer Behausung gekauft. Eine bildhübsche Frau Anfang zwanzig mit seidig glänzendem, schwarzem Haar, rehbraunen Augen und einer makellosen Haut, deren reicher Papa ihr das Geld geschenkt hatte, um sich ein eigenes Leben aufzubauen. Die meisten Agenturen, die sie buchten, unterhielten ihren Sitz in dieser tollen Stadt. Und wo sonst als in New York sollte sich ein Model das Zentrum ihrer Tätigkeit suchen, nicht wahr? Womöglich noch Paris oder Mailand, aber dort hörte man leider so selten Englisch, haha.
    Eine total bescheuerte Geschichte. Weder existierte ein reicher Papa, noch hatte sie jemals eine Modelagentur von innen gesehen. Der Makler hatte ihr dennoch jedes Wort abgekauft. Vielleicht hatte er sich von ihrem Augenklimpern oder dem verheißungsvollen Lächeln ihrer feuchten Lippen ablenken lassen. Oder von ihren leicht hypnotischen Fähigkeiten. Damit konnte sie zwar niemanden zwingen, etwas zu tun, was der nicht wollte, aber es gelang ihr, die Menschen für sich einzunehmen.
    So hatte sie die Skepsis der Nachbarn auch lange unterdrückt, aber nun schien der Zauber verflogen. Erstes Misstrauen schlug ihr entgegen. Manchmal Neid. Wenn das erst einmal geschah, war es egal, wie lieb sie mit den Augen klimperte oder wie lasziv sie sich die Lippen leckte. Es zeigte dennoch keinen Erfolg.
    Selbst bei Männern nicht!
    Und das, obgleich sie sich gar nicht verändert hatte.
    Nein , korrigierte sie sich. Gerade weil ich mich nicht verändert habe .
    Sie war noch immer die bildhübsche Frau Anfang zwanzig mit seidig glänzendem, schwarzem Haar. Und das, obwohl sie aus Sicht der Nachbarn inzwischen schon Mitte dreißig sein müsste. Doch selbst damit lagen sie um mehrere Tausend Jahre daneben.
    Dunja nahm einen Schluck Rotwein und stellte das Glas auf den Wohnzimmertisch nahe der Fensterfront.
    Natürlich überwogen eindeutig die Vorteile, wenn man nicht alterte und dadurch so gut wie unsterblich war. Aber es existierte ein entscheidender Nachteil: die Welt um einen herum, die nichts davon wusste. Was sollte man den Nachbarn oder den Kameraden erzählen, warum man sich äußerlich nicht veränderte? Die Wahrheit? Wohl kaum, zumal sie das ohnehin über Jahrtausende hinweg nicht gekonnt hätte. So lange hatte sie sie nämlich selbst nicht gekannt.
    Um nicht erklären zu müssen, was sie nicht erklären konnte, verzichtete sie auf Freunde. Oder gab sie nach einigen Jahren wieder auf.
    Ich habe ein Stipendium in Europa ergattert. In Australien wartet ein Job auf mich. Meine neue Liebe will, dass ich zu ihm ziehe, wohnt aber in Argentinien. Ich ruf dich an. Wir bleiben in Verbindung.
    Natürlich gab es kein Stipendium in Europa. Oder eine neue Liebe. Weder in Südamerika noch sonst wo. Sie brach alle Brücken hinter sich ab. Kein Telefonat, kein Brief, nichts.
    Ewig zu leben machte verdammt einsam.
    Offiziell existierte sie nicht. Sie hatte nur das Glück gehabt, vor fast dreihundert Jahren einen reichen Mann heiraten zu können, dem sie dank ihres Zukunftsblicks das Leben gerettet hatte. So verfügte sie nun über ausreichend Mittel, die ihr ein luxuriöses Auskommen sicherten und ihr ermöglichten, in regelmäßigen Abständen in eine neue gefälschte Existenz zu
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