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0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen

0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen

Titel: 0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen
Autoren: Christian Schwarz
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Jagdfieber klumpte ihren Magen schmerzhaft zusammen.
    Ihr Instinkt trog sie nicht. Als sich Donner und Blitze verstärkten, als sich der Wind mit unheimlich pfeifenden Geräuschen im Tal austobte, sah sie ihn im Licht eines vielfach verästelten Blitzes aus dem Wald auf eine steil abfallende Wiese treten. Hoch hatte der König sein zwölf Mal gekröntes Haupt erhoben und röhrte so laut, dass er selbst das Brüllen des Windes übertönte.
    Myrtle fühlte einen ehrfürchtigen Schauder über ihren Rücken laufen. Durfte sie ein so stolzes Tier überhaupt erlegen? Doch dann setzten sich die Instinkte des Jägers durch. Myrtle schaute durch das Infrarotgerät ihres Jagdgewehrs. Sie sah ihn deutlich. Der König drehte soeben den Kopf in ihre Richtung.
    Myrtle drückte ab. Der Schuss krachte, das Echo verlor sich irgendwo im Sturmwind. Sie sah ihn zucken, zurückweichen, halb steigen.
    Jetzt brich doch endlich zusammen, gib auf… Ihr Herz drohte vor fiebriger Spannung fast auszusetzen.
    Der König floh! Enttäuscht sah sie ihn umdrehen und im Wald verschwinden. Nun, er hatte nur noch einen Aufschub, sie hatte ihn getroffen. Weit würde er nicht mehr kommen.
    Es begann wie aus Kübeln zu regnen. Der Wind peitschte den Vorhang aus Wasser fast waagrecht heran. Es störte Myrtle nicht. Sie nahm die Verfolgung auf und fand die Stelle, an der er im Wald verschwunden war, problemlos. Mit einem starken Halogenscheinwerfer folgte sie dem verwundeten Tier. Über ihr rauschten die Wipfel im Sturm, aber zwischen den Bäumen war es wesentlich ruhiger.
    Plötzlich tauchte ein mächtiger, schwarzer Schatten vor ihr auf. Der König ? Nein. Dazu war er zu groß. Sie ließ den Scheinwerfer darüber wandern.
    Ein Shiel , schoss es Myrtle durch den Kopf. So nannten die Schotten die aus grob behauenen Balken errichteten Berghütten. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Jagdhütte.
    Aber das kann nicht sein. Ich war schon öfters hier. Hier steht kein Shiel. Oder täusche ich mich?
    Verunsichert näherte sie sich dem Gebäude. Erst jetzt bemerkte sie, dass es aus sich selbst zu leuchten schien. Ein ganz und gar unheimliches Leuchten, dessen Farbe sie nicht einmal definieren konnte. Sie hätte am ehesten auf schwarz getippt, aber es gab kein schwarzes Leuchten. Das war schlicht unmöglich.
    Hatte das vielleicht mit den Blitzen zu tun, deren zuckendes Leuchten auch hierher durch die Bäume drang?
    Nein. Es war… anders.
    Spätestens jetzt wäre Myrtle Ledford umgekehrt, denn sie machte sich vor Angst fast in die Hosen. Der Royal Stag war vergessen. Aber da war etwas, das eine Flucht nicht mehr zuließ.
    Sie spürte ein Raunen, das zu sagen schien: Komm näher, tritt ein, mach unsere Bekanntschaft. Ein Raunen, das mit einem Zwang verbunden war, dem sie sich nicht widersetzen konnte.
    Myrtle schluckte schwer. Dann trat sie auf die Terrasse des Shiels, der zweistöckig und auch sonst von beträchtlicher Größe war. Das Wasser rauschte vom Dach und plätscherte in Bächen auf die Holzterrasse, um von dort irgendwo gluckernd und glucksend im Waldboden zu verschwinden. Uralte Balken knirschten unter ihren Schritten, es roch nach Moder und Verwesung. Kein Tierlaut war plötzlich mehr zu vernehmen, aber das bekam die Engländerin im Brüllen des Sturms gar nicht mit.
    Ein Fensterladen bewegte sich quietschend, obwohl hier plötzlich nicht der leiseste Windhauch zu spüren war!
    Seltsam…
    Die Angst trieb Myrtle die Tränen in die Augen. Sie bemerkte nicht einmal, dass sie ihr Gewehr einfach fallen ließ.
    Nein, ich will nicht, nein! Warum gehe ich nicht einfach wieder? Lieber Gott, warum tue ich das?
    Sie durchschritt die windschief in den Angeln hängende Tür. Wasser tropfte von ihr und bildete große Lachen auf dem Boden. Ein großer Raum breitete sich vor ihr aus. Obwohl nirgendwo Licht brannte, war es auf seltsame Weise hell, sie konnte jede Einzelheit erkennen. Das steigerte ihre Panik fast ins Uferlose, die unheimliche, drückende Atmosphäre war hier drinnen nun mit Händen zu greifen.
    Die uralten Möbel, die den Raum einst wohnlich gestaltet hatten, waren womöglich noch vermoderter als das Haus selbst. Sie sah einen faulenden Holztisch, in dessen Platte ein Messer steckte, vier Stühle, zwei schwere, reich verzierte Kommoden und eine Art Sofa, auf dem eine mottenzerfressene Decke lag.
    Die Tür fiel hinter der Frau ins Schloss. Erschrocken wirbelte sie herum. Mit einem Schlag war der Zwang weg. Myrtle stieß undefinierbare Laute aus,
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