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0903 - Der Schattenkelch

0903 - Der Schattenkelch

Titel: 0903 - Der Schattenkelch
Autoren: Oliver Fröhlich
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schnell, wie er es bei einer heißen Herdplatte tun würde. Wieder passierte nichts.
    »Hm«, brummte er. »Was auch immer das vorhin gewesen sein mag, jetzt sieht Merlins Stern keine Bedrohung mehr. Habt ihr die Bediensteten gefragt, ob sie den Kelch schon einmal gesehen haben? Weiß jemand, woher er stammt?«
    »Jo ist gerade im Esszimmer und vernimmt die Leute einen nach dem anderen.« Damit meinte er Joel Wisslaire, seinen Assistenten. »Kurz bevor du ankamst, habe ich mit ihm darüber geredet. Offenbar hat diesen Kelch noch nie zuvor jemand gesehen. Nicht einmal die Putzfrau, die Luynes' Sammelstücke abgestaubt hat.«
    Zamorra betrachtete das Amulett in seiner Hand und runzelte die Stirn. »Wisst ihr schon, wann der Mord geschehen ist?«
    Robin sah auf die Armbanduhr. »Saccone, der Chauffeur, hat Luynes vor gut drei Stunden gefunden. Wie lange er da schon tot war, können wir jetzt natürlich noch nicht sagen, aber der Arzt hat vorhin geschätzt, dass es nicht mehr als zwei Stunden gewesen sein dürften.«
    »Fünf Stunden also. Gut, dann kann ich eine Zeitschau machen. Lass uns einfach nachsehen, was sich hier abgespielt hat!« Der Professor schaute hinüber zu den Männern der Spurensicherung. Dass hier noch vor wenigen Minuten ein Mann quer durch den Raum geflogen und kurz darauf einer schwarzen Wolke nachgejagt war, hatten sie offenbar schon wieder verdrängt, denn sie hantierten mit Pinseln und Pulver herum, als wäre nichts geschehen. Zamorra wandte sich wieder Pierre Robin zu. »Kannst du bitte dafür sorgen, dass wir für ein paar Minuten alleine sind?«
    »Natürlich!«
    Jedes weitere Wort der Erklärung war unnötig. Robin kannte einige der Fähigkeiten von Merlins Stern und wusste, dass Zamorra sich in eine Halbtrance versetzen musste, um die Zeitschau durchzuführen. Eine Meute Pinsel schwingender Spurensicherer war hierfür sicher nicht förderlich. Der Chefinspektor schickte Paul Bassot und dessen Männer kurzerhand aus dem Zimmer. Bassot protestierte zwar halbherzig, als Robin ihm aber ein großzügiges Schmiergeld in Form einer Flasche teuren Rotweins versprach, wurde er gefügig. Er war sogar so emsig, die Tür hinter sich zu schließen.
    »Dann mal los«, sagte Zamorra. Er hielt das Amulett so, dass sowohl er als auch Robin einen guten Blick auf den stilisierten Drudenfuß hatten. Dann versetzte er sich in die nötige Halbtrance. Wie auf einem Mini-Bildschirm konnten sie nun in dem Pentagramm beobachten, was in dem Raum geschehen war. Gleichzeitig wurden die Bilder in Echtgröße in Zamorras Geist projiziert. Dabei war es allerdings, als würde ein Video rückwärts laufen, bei dem Zamorra so weit in die Vergangenheit spulen musste, bis er die für sie wichtigen Szenen entdeckt hatte.
    Der Professor sah, wie die Männer der Spurensicherung das Arbeitszimmer scheinbar wieder betraten, wie er und Robin Seite an Seite rückwärts den Raum verließen, wie Robin kurze Zeit später zurückkam. Noch einmal erlebte er den Angriff des Schattens mit und verfolgte, wie die Ärzte einen Leichensack hereinbrachten, den toten Clement Luynes daraus hervorschälten und ihn auf den Boden legten.
    Zamorra beschleunigte den Ablauf der Szenen. Er beobachtete Polizisten und Ärzte, die um den Leichnam herumwuselten und schließlich aus dem Raum verschwanden. Danach tauchten einige Bediensteten auf. Zamorra erkannte den Mann mit der grünen Schürze und einige andere Leute, die er in der Eingangshalle gesehen hatte. Auch Roger Luynes, der Sohn des Opfers, hüpfte scheinbar rückwärts durch die Gegend. Die Geschwindigkeit der Bewegungen hatte etwas Slapstickhaftes, das der Tragik des Gezeigten nicht im Geringsten gerecht wurde.
    Nach und nach »leerte« sich das Arbeitszimmer. Zuletzt waren noch zwei Männer zu sehen, bei denen es sich wohl um den Chauffeur und den Gärtner handelte, die den Toten gefunden hatten. Irgendwann verschwanden auch sie und ließen Clement Luynes alleine zurück, der nun rückwärts durch die Zeit auf seine Ermordung wartete.
    Zamorra ließ die Bilder noch etwas schneller ablaufen, bremste jedoch sofort ab, als wieder Bewegung in die Szenerie kam. Er wartete, bis er wenige Sekunden später Clement Luynes hinter seinem Schreibtisch sitzen sah, dann stoppte er die Wiedergabe wie bei einem DVD-Player und setzte mental eine Art Marker, der ihm später einen Wiedereinstieg ermöglichen würde. So musste er sich nicht noch einmal umständlich von der Gegenwart in die Vergangenheit
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