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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Autoren: George R. R. Martin
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schlüpfen war, als würde man einen alten Stiefel anziehen, dessen Leder vom Tragen weich geworden war. Und wie ein Stiefel für den Fuß gefertigt wurde, so war ein Hund für das Halsband geschaffen, sogar für ein Halsband, das ein menschliches Auge nicht sehen konnte. Wölfe waren schwieriger. Mit einem Wolf konnte ein Mensch sich anfreunden, ja, er konnte sogar den Willen eines Wolfes brechen, aber niemand konnte einen Wolf wirklich zähmen . »Wölfe und Frauen binden sich für das ganze Leben«, hatte Haggon oft gesagt. »Wenn du einen nimmst, ist das wie eine Heirat. Der Wolf wird von dem Tag an ein Teil von dir, und du ein Teil von ihm. Ihr werdet euch beide verändern.«
    Andere Tiere ließ man besser in Ruhe, hatte der Jäger erklärt. Katzen waren eitel und grausam und stets bereit, sich gegen einen zu wenden. Elch und Hirsch waren Beute; wenn man ihre Leiber zu lange trug, wurde selbst der tapferste Mann zum Feigling. Bären, Keiler, Dachse, Wiesel … Haggon hatte nicht viel von ihnen gehalten. »In manche Leiber möchte man einfach nicht schlüpfen, Junge. Es wird dir nicht gefallen, was dann aus dir wird.« Vögel waren am schlimmsten, konnte man von ihm hören. »Menschen ist es nicht bestimmt, den Erdboden zu verlassen. Verbringe zu viel Zeit in den Wolken, und du willst nicht mehr herunterkommen. Ich kenne Leibwechsler, die es mit Falken, Eulen, Raben versucht haben. Selbst in ihrem eigenen Leib sitzen sie nur verträumt da und starren hinauf ins verdammte Blau.«
    Wie auch immer, nicht allen Leibwechslern erging es so. Einmal, als Kugel zehn war, hatte Haggon ihn zu einer Leibwechsler-Versammlung mitgenommen. Die Warge, die Wolfsbrüder, waren die zahlreichsten in der Runde, doch der Junge hatte die anderen fremdartiger und faszinierender gefunden. Borroq ähnelte seinem Keiler so sehr, ihm fehlten nur noch die Hauer, Orell hatte seinen Adler, Dornros ihre Schattenkatze (in dem Moment, in dem er sie sah, wollte Kugel seine eigene Schattenkatze), Grisella ihre Ziege …
    Doch keiner von ihnen war so mächtig gewesen wie Varamyr Sechsleib, nicht einmal der große, grimmige Haggon mit seinen Händen, hart wie Stein. Der Jäger starb weinend, nachdem Varamyr ihm Graufell genommen und ihn aus dem Tier vertrieben hatte, um es selbst zu besitzen. Kein zweites Leben für dich, alter Mann. Varamyr Dreileib nannte er sich damals noch. Mit Graufell waren es vier, obwohl der alte Wolf gebrechlich und beinahe zahnlos war und Haggon bald in den Tod folgte.
    Varamyr konnte sich jedes Tier nehmen, das er wollte, es seinem Willen unterwerfen und sein Fleisch zu seinem eigenen machen. Hund oder Wolf, Bär oder Dachs …
    Distel, dachte er.
    Haggon hätte es Abscheulichkeit genannt, als schwärzeste Sünde überhaupt bezeichnet, doch Haggon war tot, verschlungen und verbrannt. Mance hätte ihn ebenfalls verflucht, aber Mance war erschlagen worden oder in Gefangenschaft geraten. Niemand wird es je erfahren. Ich werde Distel, die Speerfrau sein, und Varamyr Sechsleib wird tot sein. Seine Gabe würde mit seinem Körper sterben, glaubte er. Er würde seine Wölfe verlieren und den Rest seiner Tage als dürres, warziges Weib verbringen … doch er würde leben. Wenn sie zurückkommt. Wenn ich dann noch stark genug bin, um sie zu nehmen.
    Schwindel schlug wie eine Woge über Varamyr zusammen. Er fand sich auf den Knien wieder, und seine Hände steckten in einer Schneewehe. Er nahm eine Hand voll Schnee und stopfte sich den Mund voll, rieb ihn sich in den Bart und auf die trockenen Lippen, saugte die Feuchtigkeit in sich hinein. Das Wasser war so kalt, dass er sich kaum überwinden konnte, es zu schlucken, und wieder fiel ihm auf, wie heiß sein Körper war.
    Der geschmolzene Schnee verstärkte den Hunger. Sein Bauch verlangte nach Essen, nicht nach Wasser. Es hatte aufgehört zu schneien, doch der Wind nahm zu und blies Kristalle in die Luft, die ihm ins Gesicht stachen, als er sich durch die Wehen kämpfte. Die Wunde in seiner Flanke öffnete und schloss sich wieder. Sein Atem bildete eine weiße Wolke. Als er den Wehrholzbaum erreichte, fand er einen abgebrochenen Ast, der gerade lang genug war, um ihm als Krücke zu dienen. Er stützte sich schwer darauf und wankte weiter zu der Hütte, die ihm am nächsten war. Vielleicht hatten die Dorfbewohner bei der Flucht etwas zurückgelassen … einen Sack Äpfel, etwas Dörrfleisch, irgendetwas, das ihn am Leben hielt, bis Distel zurückkehrte.
    Er hatte die Hütte beinahe
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