Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0866 - Rattennacht

0866 - Rattennacht

Titel: 0866 - Rattennacht
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
»Da ihr mir schon gefolgt seid, habt ihr ein gewisses Recht auf eine Antwort. Dieser Mensch ist so etwas wie ein kleiner Fürst in einem bestimmten Viertel. Er arbeitet nicht, aber er lebt trotzdem gut. Vielleicht verstehen Sie…«
    »Sie meinen, daß er abkassiert?«
    »So ist es, Monsieur. In diesem Bezirk wohnen die Armen, die für jedes Almosen dankbar sind. Darin beziehe ich die Arbeitsstätten mit ein. Dieser Mensch heißt Cunard. Er hat vielen Arbeit besorgt, aber er kassiert auch einen Teil des Lohn ab. Das ist eines seiner vielen Geschäfte. Und er möchte, daß man ihm mit Respekt begegnet.«
    »Was haben Sie denn getan?« fragte Shao.
    »Eigentlich nicht viel. Ich habe nur auf seine Schuhe getreten und sie etwas beschmutzt.«
    »Und deshalb sollten Sie die Treter blankschlecken?«
    »Ja.«
    Shao hob die Schultern. Sie mußte darüber nachdenken und fragte: »Was wäre geschehen, wenn Sie es nicht getan hätten?«
    Der Mann lächelte. »Sie sind fremd hier. Sie sehen aus wie Touristen. Ich will es Ihnen deshalb sagen. Er hätte mich wahrscheinlich töten lassen.«
    »Nein…«
    »Doch!«
    Shao schnaufte. »Das ist doch nicht möglich. Das kann nicht sein. Wie kann man wegen einer derartigen Lappalie nur so handeln?«
    »Es war für ihn mehr. Sie dürfen nicht vergessen, daß es zahlreiche Zeugen gab. Und eine Niederlage vor Zeugen kann sich ein Mann wie Cunard nicht erlauben.«
    Eigentlich wäre die Sache für Suko und Shao erledigt gewesen. Sie hätten sich umdrehen und weggehen können, sie taten es beide nicht und blieben abwartend stehen. »Einiges paßt eigentlich nicht so recht in das Gesamtbild«, sagte Suko.
    »Was stört euch?«
    »Die Reaktion. Ihre Reaktion.«
    »Ach ja?«
    »Sie sind so locker geblieben. Sie haben sich umgedreht und sind gegangen, aber sie haben auf uns den Eindruck eines Mannes gemacht, der genau gewußt hat, was er tat.«
    »Das ist möglich.«
    »Sie waren nicht ängstlich«, nahm Shao den Faden wieder auf. »Was haben Sie gedacht?«
    Der Mann lachte leise. »Ach, Sie sind Touristen. Genießen Sie Paris und lassen Sie es gut sein.«
    »Warum?«
    »Es ist besser.«
    Suko war der fremde Unterton in der Stimme nicht entgangen. »Das hört sich an, als wäre die Sache für Sie persönlich noch nicht ausgestanden, denke ich mal.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Gefühl.«
    Der Mann hob die Schultern, dann deutete er an sich hinab. »Schaut mich an. Wer bin ich? Ein Stromer? Einer, der keine Wohnung und keine direkte Heimat hat.« Er hob den Kopf. Shao und Suko schauten wieder in die ungewöhnlichen Augen hinein, die so kalt und blau wie Gletscherseen wirkten. Diese Augen und dieser Ausdruck paßten nicht mit der etwas harmlosen Reaktion des Mannes überein. Da steckte mehr dahinter, sie sahen es überdeutlich.
    »Sie sind kein Stromer«, erklärte Shao.
    »Was bin ich dann?«
    »Jemand, der den Stromer spielt und dafür auch seine Gründe vorweisen kann.«
    »Wie sollten die aussehen?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Wie heißen Sie?« fragte Suko.
    Der Mann hielt seine Hand vor den Mund, als er hustete. »Ich werde Ihnen diese eine Frage noch beantworten. Ich heiße Absalom. Ich weiß selbst, daß es ein ungewöhnlicher Name ist, aber ich kann daran nichts ändern. Absalom, sehr biblisch.«
    »In der Tat«, gab Shao zu.
    Er lächelte. »Das ist es dann wohl gewesen. Erkunden Sie Paris. Es wird Sie nicht reuen. In dieser Stadt leben viele seltsame Typen, die nicht in die Schubladen der modernen Gesellschaft einzuordnen sind. Seien Sie froh, daß es so etwas noch gibt. Das habe ich Ihnen zum Abschied sagen wollen.«
    Dann ging er weiter.
    Er drehte ihnen den Rücken zu und schritt den Weg entlang in Richtung Monument aux Mortes. Es war das Denkmal des Todes, und dieser Mann auf seinen zwei Beinen wirkte ebenfalls wie jemand, der den Tod nicht fürchtete und ihn als einen Verbindungsmann ansah. Seine Tritte hinterließen ein leises Knirschen. Er schritt unter den Schatten der Bäume entlang, er sah aus wie jemand, der hierher auf den Friedhof gehörte und sich überall auskannte.
    »Was sagst du, Suko?«
    »Er heißt Absalom.«
    »Und?«
    Der Inspektor hob die Schultern. »Ich bin leider nicht so bibelfest, wir sollten einmal nachblättern.«
    »Wenn du mir so kommst«, Shao kannte ihren Partner, »dann hast du dir einen gewissen Verdacht zurechtgebastelt. Oder liege ich da falsch?«
    »Ich kann es dir nicht genau sagen. Jedenfalls ist mir dieser Absalom nicht geheuer. Seine Worte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher