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086 - Das Grab des Vampirs

086 - Das Grab des Vampirs

Titel: 086 - Das Grab des Vampirs
Autoren: Frank Sky
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wohlgerundeten Schultern saß ein halbverwester Kopf mit lidlosen Augen, einem lippenlosen, grinsenden Mund und hautlosen Wangen, in denen Ira sich ringelndes Gewürm zu sehen glaubte. Von Ekel und Angst überwältigt, floh das junge Mädchen zwischen zwei Männern hindurch, die sich nun ebenfalls die Masken vom Gesicht zerrten. Aus den Augenwinkeln sah Ira, daß die Schädel fleischlos kahl wie Totenschädel waren.
    Sie rannte auf die Ausgangstür zu, doch vier Männer versperrten ihr den Weg. Ratlos blieb sie stehen. Die Köpfe der Männer bestanden nur noch aus Knochen und ein wenig verwestem Fleisch. Ihre Augen glänzten.
    „Comte de Rochelles!“ schrie Ira in höchster Not. „Comte, so helfen Sie mir doch!“
    Keiner der Gäste trug noch eine Maske. Ira befand sich inmitten von Untoten, die alle nach ihrem warmen Blut fieberten.
    „Der Comte Maurice de Rochelles wird nicht kommen, um dir zu helfen“, sagte der weibliche Vampir, dessen Blut Ira verschüttet hatte. „Du bist das Opfer, das er uns gebracht hat. Wir sind seine Verwandten, von denen er gesprochen hat. Allerdings sind wir in anderem Sinne miteinander verwandt, als du angenommen hast.“
    Sie entblößte ihre Zähne boshaft grinsend.
    Ira blickte sich gehetzt um und sah, daß auch die anderen Gäste lachten. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Ihr Herz schien stehenzubleiben. Sie sah keinen Ausweg mehr.
    „Comte“, sagte sie mit tonloser Stimme. „Es darf nicht wahr sein.“
    „Es ist wahr“, antwortete das Weib und kam langsam auf sie zu. Sie hatte keine Maske getragen und glich weitgehend einer Lebenden. „Der Comte suchte die Freiheit. Er wird sie nicht erhalten, wenn wir unser Opfer nicht bekommen. Wenn man dich hier aber morgen tot, ohne einen einzigen Tropfen Blut in deinen Adern findet, wird man sein Grab öffnen und ihm den Pfahl … Es sei denn, daß …“
    Einer der anderen Vampire trat auf sie zu und legte ihr eine Knochenhand über die Lippen. Sie verstummte.
    Ira hielt den Atem an. Der Kreis der Blutgierigen umschloß sie enger.
    Da flog die Tür auf und die mächtige Gestalt des Comte de Rochelles betrat den Raum. Er erschien Ira viel größer und kräftiger als sonst, so als hätte die Stunde der Geister ihn mit neuem Leben erfüllt.
    „Ich kann es nicht“, sagte er stöhnend in die Stille hinein. „Sie ist wie Bianca. Ich kann es nicht ein zweites Mal tun. Sie darf nicht sterben.“
    Das Weib, deren Wein Ira verschüttet hatte, trat auf ihn zu. „Niemand wird uns dieses Opfer nehmen. Du kannst nichts tun, Marcel.“
    Ira fühlte, wie ihre Beine unter ihr nachgaben.
     

     

Dietmar Runge blickte auf den Mißgestalteten herunter, der keuchend vor ihm auf den Boden lag und das Gesicht nicht abwenden konnte. Wieder kam ihm eine verwegene Idee. Vorsichtig kniete er nieder und rammte einen Ast senkrecht in den Boden. Dadurch bekam er eine Hand frei, mit der er sein Hemd zerriß, bis er genügend Stoff hatte, um die beiden Äste zu einem Kreuz zusammenzubinden.
    Nun konnte er weggehen. Er würde zwar nur einen Vorsprung von wenigen Minuten gewinnen, aber Runge hoffte, daß das genügte.
    Zögernd beugte er sich noch einmal zu dem Dauphin herab, um ihn zu berühren. Die Hand blieb auf seinem Kopf liegen. Runge begriff nicht, warum der Vampir mal körperlich, mal nichtkörperlich war. Er wandte sich ab und rannte auf das Schloß zu.
    Im Wald war es stockdunkel. Runge mußte sein Tempo verringern, weil er immer wieder gegen Bäume lief oder stolperte. Ein Uhu schrie, und irgendwo in seiner Nähe grunzten Wildschweine. Er hörte, wie die Tiere schnauften, doch das störte ihn nicht; unangenehmer war das Gefühl, daß ihm jemand lautlos folgte. Hin und wieder, wenn er sich umsah, meinte er, ein matt schimmerndes Augenpaar zu sehen.
    Endlich wurde es etwas heller. Zwischen einigen Bäumen hindurch erspähte er ein Fenster. Er atmete auf. Das konnte nur das Schloß sein. Er lief schneller, doch es schien, als hielten ihn unsichtbare Fäden, die ihm zwar gestatteten, bis zu einem bestimmten Punkt vorzudringen, zurück.
    Runge blieb stehen und lauschte. Wehten nicht die Klänge eines Menuetts zu ihm herüber? Wo blieb der Dauphin? Der Mond war weitergewandert. Lauerte er hinter ihm, um ihn anzufallen?
    Runge zwang sich zur Ruhe und ging weiter. Er kämpfte gegen die unsichtbare Macht an, die sich ihm entgegenwarf, und erreichte den Waldrand. Das Schloß lag halbverfallen vor ihm. Vor dem Schloß, das mehr einer Ruine glich,
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