Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0819 - Der Tod des Heiligen

0819 - Der Tod des Heiligen

Titel: 0819 - Der Tod des Heiligen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
konnte die grauen Schatten nicht vertreiben, die sich auch über die Gestalten der Gäste gelegt hatten. Sie wirkten wie Puppen, wie sie schweigend an den Tischen saßen, in sich gekehrt, die Getränke vor sich, zu denen sie hin und wieder griffen.
    Ich verglich das Bild mit einer unheimlichen Performance, ins Leben gerufen von einem Künstler, der neue Wege gehen will. Die Bewegungen wirkten zeitlupenhaft langsam, als stünden die Menschen unter Drogen.
    Das Inn selbst war alt und verräuchert. Eine niedrige Decke wirkte durch die Balken noch tiefer gezogen. Zwischen zwei Fenstern entdeckte ich einen großen Vogelkäfig. Er war für einen Papagei gedacht. Das Tier lag leblos am Boden. Wahrscheinlich war er tot.
    Ich hatte die Gäste nicht gezählt. Sie verteilten sich an den Tischen, Frauen und Männer in einer gewissen Einheitskleidung, zumeist eingepackt in den hellen Stoff ihrer pludrigen Blusen, Hemden und Hosen. Kalkweiße Gesichter mit tot wirkenden Augen, in denen jedoch ein gewisses Lauern stand. Obwohl uns niemand direkt anschaute, wurden wir aus den Winkeln genau beobachtet und taxiert.
    Vor uns bildete die Theke so etwas wie eine Grenze. Dahinter hätte eigentlich der Wirt der Gastwirtschaft stehen müssen, von ihm aber war nichts zu sehen. Die breite Lücken zwischen dem Tresen und den alten Schränken dahinter wirkte verwaist. Als ich dies feststellte, mußte ich unwillkürlich an den Papagei im Käfig denken, und ich wollte nicht hoffen, daß es dem Wirt ähnlich ergangen war.
    In dieser bedrückenden Atmosphäre konnte sich kein normaler Mensch wohl fühlen, auch wir machten da keine Ausnahme, und ich sah mit einem kurzen Blick auf Bill, daß auch er eine leichte Gänsehaut bekommen hatte. Er war innerlich gespannt, den Kopf hielt er leicht nach vorn gedrückt. Wenn er atmete, dann nur durch die Nase.
    »Laß uns vorgehen!« flüsterte mein Freund.
    Er machte den Anfang und näherte sich der Theke. Ich blieb zurück, deckte ihm mit meinen Blicken den Rücken und ging erst weiter, als Bill sein Ziel erreicht hatte, sich umdrehte und dabei einen Ellbogen auf den Handlauf stemmte.
    Noch immer waren wir mit keinem Wort angesprochen worden.
    Die beklemmende Stille hielt an. Sie dämpfte selbst das Licht einer Lampe, in deren Schein wir uns aufhielten, so daß wir den Eindruck hatten, von irgendwelchen Schatten überfallen zu sein..
    »Einen Drink, John?«
    »Holst du ihn?«
    »Sicher.« Bill griff nach einer Flasche. Whisky füllte sie bis zur Hälfte. Zwei Gläser fand er auch, goss ein, und das Gluckern war das einzige Geräusch in der Stille.
    Wir nahmen unsere Gläser in die Hände und bekamen mit, wie man uns anstarrte. Man hielt uns unter Kontrolle, die Feindschaft der anderen war zu spüren, hier in Cuttlage grenzte man uns aus, wir waren Fremde, die nicht zur Totenfeier passten.
    Ich nahm einen kleinen Schluck, stellte das Glas wieder weg und wartete auf eine Reaktion.
    Sie erfolgte nicht. Schweigend blieben wir in dieser eisigen Atmosphäre zurück, in der selbst das Sprechen schwer fiel. In den Gesichtern der Gäste bewegte sich ebenfalls nichts, auch die Augen erinnerten an gläserne Kugeln.
    Uns war klar, daß wir dieses Schweigen nicht mehr lange durchhalten würden. Da keiner der anderen Anstalten traf, etwas zu sagen, wollte ich den Anfang machen und nach dem Wirt oder Besitzer der Kneipe fragen. Dazu kam ich vorerst nicht, denn ein ungewöhnliches Geräusch drückte bereits den Ansatz eines Wortes zurück in die Kehle.
    Es war Musik.
    Geigenklänge…
    Sehr weich, sehr traurig und seufzend, als wäre jemand dabei, seine Probleme durch Musik zu kompensieren. Der Geigenklang füllte den Raum aus, trotzdem wehte er aus einer bestimmten Richtung an unsere Ohren, und wir drehten uns gemeinsam um.
    Am Ende des Tresens gab es eine Tür. Sie stand offen, lag aber im Halbdunkel versteckt, so daß sie einen großen, düsteren Schatten bildete. In ihm zeichnete sich der Umriß eines Menschen ab, in der Haltung eines Geigenspielers. Dieser Mensch kam näher, und wir stellten fest, daß es eine Frau war.
    Sehr jung noch, fast ein Mädchen. Mehr als zwanzig Jahre konnte sie nicht zählen. Sie trug ein dunkles Kleid, dessen Saum um ihre Waden schwang, ihre Füße umspannten zwei Mokassins. Das Haar war blond, in der Mitte gescheitelt, und es fiel glatt zu beiden Seiten des Kopfes herab. Das Mädchen paßte irgendwie in die Strömung, die jetzt zurückkehrte, eben die siebziger Jahre, als die Jugend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher