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0783 - Der Tunnel

0783 - Der Tunnel

Titel: 0783 - Der Tunnel
Autoren: Jason Dark
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zugeben, dass die Gestalt etwas Mumienhaftes an sich hatte. Der Anblick konnte einen Menschen schon das Gruseln lehren. Die Haut war so scharf und straff über sein Gesicht gespannt, dass sich an den Augen so etwas wie eine Mongolenfalte hatte bilden können. Sie erinnerten mich an schräggestellte Schlitze, in denen die Pupillen wie winzige Laternen leuchteten. Unterhalb der Augen beulte sich die dünne Haut nach innen ein, so dass sie dort Kuhlen bildete. Straff war sie auch über die Wangen gespannt bis hin zum Mund, der eigentlich keiner war, sondern nur ein Schnitt im Gesicht und völlig lippenlos. Die Nase sah aus wie ein knöcherner Buckel, der allerdings in die Breite weglief, so dass er kaum hervortrat. Ich sah dünne Ohren, aber keine Haare.
    Dafür fiel mir jetzt etwas anderes auf, das ich nicht gesehen hatte, als die Gestalt zum ersten Mal im Eingang des Tunnels stand.
    Sie trug eine Kutte, einen dunklen, möglicherweise schwarzblauen Umhang, der über den knochigen Schultern hing und vom Stoff her so breit war, dass sich die Gestalt darin hatte einwickeln können.
    Ich kriegte fast Mitleid mit ihr. Die Gestalt hockte vor mir am Boden wie jemand, der sich verirrt hatte und plötzlich in der Kälte anfing zu frieren.
    Ich leuchtete sie vom Kopf bis zu den Füßen ab. Sie schauten aus dem Saum hervor und waren hochkant gestellt, so dass der Schein die Sohlen traf.
    Ich sah dünne Zehen, ich sah die Knochen, und wiederum war die Haut darüber gespannt worden.
    Wer war diese Person?
    Die Frage brannte mir auf den Lippen. Bisher hatte ich noch nicht erfahren, ob sie überhaupt fähig war, einige Worte zu reden. Verstand sie meine Sprache, oder war es ihr nur möglich, sich durch irgendwelche Zeichen oder Wortfragmente zu verständigen?
    Wie immer kam es auf einen Versuch an, und ich zögerte nicht länger. »Wer bist du?«
    Er hatte mich gehört. Ob er mich auch verstanden hatte, wusste ich nicht. Jedenfalls hob der Namenlose – so sah ich ihn – den Kopf leicht an. Tiere hätten die Ohren gespitzt. Möglicherweise war es bei ihm auch so.
    Ich ließ einige Sekunden verstreichen, ohne eine Antwort zu erhalten. Noch einmal setzte ich nach. »Sag mir deinen Namen, wenn es dir möglich ist und du mich verstehst.« Meine Worte hallten in der Höhle nach. Zum erstenmal nach meinem Betreten hatte ich auch die Gewissheit, mich in einem derartigen Raum aufzuhalten. Ich leuchtete in das Gesicht des Fremden und lauerte auf eine Reaktion.
    Da gab es tatsächlich eine.
    Ein Zucken nur, doch immerhin…
    »Sag ihn!«, forderte ich ihn auf. »Du kannst mit mir reden. Ich will dir nichts.«
    Er überlegte und machte es spannend. Er wartete noch, bewegte wieder seinen lippenlosen Mund, und etwas knirschte tief in seinem Rachen, als würde dort Glas zerbrechen. Wollte er nicht, konnte er nicht? Jedenfalls war es ein wichtiger Zeuge. Diese Ahnung war plötzlich zu einem Wissen geworden. Etwas anderes geschah auch.
    Mein Geist befreite sich. Mir eröffneten sich plötzlich Möglichkeiten.
    Ich fühlte mich so stark, nicht körperlich, sondern geistig stark und kam mir vor wie jemand, der auf einer Wolke seinen Platz gefunden hatte und allmählich davonschwebte, ohne aber den Problemen aus dem Weg zu gehen.
    Es war die Erkenntnis, wieder vor einem Tor im Leben zu stehen, das aufgestoßen werden musste, um ein großes oder auch ein neues Wissen zu erlangen.
    Wichtige Erkentnisse, etwas Wunderbares, das mir nur über diese Gestalt zuteil werden konnte.
    »Wer…?«
    Jetzt bewegten sich die Hände. Ich sah, wie sich die Haut noch mehr spannte. Dabei entstand nicht das leiseste Geräusch, kein Knacken der Knochen, auch kein Kratzen oder Schaben, es lief in einer geisterhaften Lautlosigkeit ab.
    Dann sprach er. Ich erstarrte im ersten Augenblick, als ich die Stimme vernahm. Sie war menschlich und klang trotzdem anders, als wäre sie durch eine Membrane »gefiltert« worden, die zudem noch die einzelnen Buchstaben auseinander riss.
    »J-O-H-N…«
    Ich rührte mich nicht. Ich überlegte. Hatte die Antwort tatsächlich John gelautet? Ich hieß John. Das hatte nichts zu sagen, den Namen gab es öfter, doch merkwürdig kam mir das schon vor, denn ein Verwandter war die Gestalt wirklich nicht.
    Der lippenlose Mund hatte sich bei dieser Antwort zuckend bewegt. Danach war er wieder zugeklappt, bildete nur mehr einen Strich, aber was ich da gehört hatte, war einfach zuwenig gewesen.
    Er hatte bestimmt noch einen Nachnamen, und ich wollte
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