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0749 - Hort der Wölfe

0749 - Hort der Wölfe

Titel: 0749 - Hort der Wölfe
Autoren: Timothy Stahl
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hinauszogen. Hatte man die Spur eines Streuners erst einmal aufgenommen, war es recht einfach, ihr zu folgen und sie sogar vorherzusehen, vorausgesetzt, man verfügte über einschlägige Erfahrung und wusste sie in der Praxis zu nutzen. Der Weg eines Streuners folgte in aller Regel charakteristischen Mustern: Sie bevorzugten unter anderem bestimmte Geländeformationen und Gebiete mit bestimmten Siedlungsdichten. Wusste man all dies und zog man geeignetes Kartenmaterial zu Rate, berücksichtigte man dann noch die Mondphasen in seinen Überlegungen, war es kaum noch ein Problem, gleichsam vorauszuberechnen, wo es den Wolf hinziehen und wann er dort zuschlagen würde.
    Rebecca Dale beispielsweise hatte Merlow Vanduren hier, auf dieser Farm mitten in Ohio, bei ihrem Eintreffen schon erwartet, natürlich ohne sich ihr zu offenbaren. Schließlich war er hinter der Wölfin und nicht dem Mädchen her. Dann, als sie sich den Farmerssohn ins Heu holte, musste er nur noch warten, bis sie die hübsche Larve fallen ließ und ihr wahres Gesicht zeigte.
    Das Gesicht eines echten Werwolfs!
    Auch in diesem Punkt hatte sich Rebecca Dale für Vanduren als wahrer Glücksgriff erwiesen.
    Es gab zwei Arten von Werwölfen: die gebürtigen und die gemachten, wie sie im vandurenschen Familienjargon hießen. Erstere erhielten den Wolfskeim durch Vererbung; auf welchen Ursprung dieser Keim zurückging, hatte weder Merlow Vanduren noch einer seiner Vorfahren oder seines Wissens sonst jemand je in Erfahrung bringen können. Dieser Keim mochte so alt sein wie die Welt selbst oder gar älter noch. Bekannt war allerdings, dass er nicht in jedem Träger zur Entfaltung gelangte. Oft übersprang er mehrere Generationen, bis er wieder zum Tragen kam, in manchen Familien schien er über die Zeit sogar völlig abzusterben.
    Die so genannten gemachten Werwölfe mutierten erst nach einer nicht tödlichen Verletzung durch einen anderen Werwolf. Dies war in der Regel die ungestümere, wildere Sorte, barbarischer auch, weil der Fluch und die damit einhergehende vermeintliche Allmacht unvermittelt über den unvorbereiteten Träger hereinbrachen, während die Gebürtigen das Wölfische von Anfang an in sich bargen und, ohne davon zu wissen, auf ihr späteres Naturell vorbereitet wurden, das zumeist während der Pubertät ausbrach.
    Für Vandurens Zwecke besser geeignet waren die gebürtigen Werwölfe, die zu seinem Bedauern aber auch seltener waren. Was wiederum nur natürlich war, immerhin konnte ein gebürtiger Wolfsmensch in seinem Leben mehrere gemachte Artgenossen ›erschaffen‹ - was jedoch in keines Werwolfs Absicht lag, schließlich jagten sie Menschen, um sie zu töten und zu fressen, und nicht, um sie mit dem Leben davonkommen zu lassen.
    Um so glücklicher schätzte sich Vanduren, mit Rebecca Dale eine Gebürtige zur Strecke gebracht zu haben. Sein geübtes Auge hatte es in dem Moment erkannt, da sie sich verwandelt hatte. Er konnte den Unterschied nicht konkret an etwas festmachen, es war reine Erfahrungssache, vielleicht auch - Instinkt.
    Bei diesem Gedanken fröstelte Vanduren, und er beeilte sich, seine Kleidung überzustreifen. Instinkt - das war etwas, das Tieren eigen war, Bestien. Wie den Wölfen…
    Er nahm seine Ausrüstung auf und kehrte durch die dicht stehenden Maisstauden zu seiner toten Beute zurück, ließ sich daneben auf die Knie nieder und befühlte durch das weiche Fell den Körper darunter.
    Er war kalt. Nicht eiskalt, aber nahe daran. Und kälter auf jeden Fall, als es ein Leichnam nach so kurzer Zeit normalerweise gewesen wäre, ob nun Werwolf oder Mensch.
    Diese Kälte war ein beabsichtigter Nebeneffekt des Giftes, das Rebecca Dale umgebracht hatte. Sie konservierte den toten Leib, der noch eine ganze Weile frisch bleiben musste. Es war noch ein weiter Weg bis nach Hause…
    Natürlich konnte Vanduren keinen toten Werwolf am Stück von hier fortschaffen und auf den vorbereiteten Transportweg bringen.
    Er zog ein Messer mit scharfer Klinge aus dem Gürtel und machte sich daran, den Kadaver mit schnellen, fachmännischen und buchstäblich hundertfach geübten Schnitten zu tranchieren.
    ***
    Zwei Tage später, Greater New York, Distrikt Bronx
    »Benötigen Sie meine Hilfe noch, Sir?«
    »Vorerst nicht, Talbot, danke. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche«, antwortete Merlow Vanduren.
    »Sehr wohl, Sir.«
    Talbot, ein Mann in fortgeschrittenem Alter, schnippte mit den Fingerspitzen imaginäre und tatsächlich vorhandene Stäubchen
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