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0711 - Die Nacht der Wölfe

0711 - Die Nacht der Wölfe

Titel: 0711 - Die Nacht der Wölfe
Autoren: Claudia Kern
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dunklen Anzug durch die Tür. Er blieb lächelnd stehen und verneigte sich.
    Frank stellte die am Tisch Sitzenden vor und sagte: »Das ist Mister William Chang. Sein Wagen ist hinten am Formosa Canyon liegengeblieben. Ich ruf gleich Charlie Price an, der soll sich den mal ansehen.«
    »Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten.«
    Changs Stimme klang weich, fast schon unterwürfig. Seine Augen, die hinter den Fettwülsten kaum zu sehen waren, bewegten sich von einer Seite zur anderen und schienen jeden im Raum kurz zu betrachten.
    Etwas stimmt hier nicht , dachte Miguel. Der Formosa Canyon lag fast sechs Meilen entfernt, aber Chang, der angeblich die ganze Strecke zu Fuß zurückgelegt hatte, schwitzte noch nicht einmal.
    »Sind Sie hier aus der Gegend, Mister Chang?«, fragte Linda, während sie ihm ein Glas Eistee reichte.
    »Nein, eigentlich bin ich aus Denver, aber ich lebe schon länger in Los Angeles.«
    Das Wiehern der Pferde wurde nicht leiser. Der Coyote musste nah bei den Stallungen sein. Miguel legte die Gabel beiseite, stand auf und zeigte nach draußen.
    Martin nickte. »Gute Idee. Geh schon mal vor. Ich schicke Frank mit dem Gewehr zum Stall, sobald er Charlie erreicht hat.«
    Miguel glaubte Changs Blicke im Rücken zu spüren, als er die Küche verließ. Drinnen setzte Linda ihr Gespräch mit dem Fremden fort.
    »Sind Sie beruflich in New Mexico?«
    »Ja, das könnte man so sagen. Ich bin auf der Suche nach neuen Rekruten.«
    »Oh, dann arbeiten sie für die Armee?«
    »Armee? Ja, ganz genau. Ich arbeite für eine Armee…«
    Miguel schloss die Haustür hinter sich und ging zu den Ställen. Mit jedem Schritt nahm seine Unruhe zu. Er wusste nicht genau, woran das lag, ob es das ängstliche Wiehern der Pferde war oder die Stille, die über den großen Weiden lag. Keine Grille zirpte, keine Eule schrie. Nur die weiche Stimme des Asiaten hallte immer noch in seinem Kopf nach.
    Ich arbeite für eine Armee.
    Seltsame Wortwahl, dachte Miguel. Er lebte lange genug in diesem Land, um die Nuancen der Sprache zu bemerken, auch wenn er nie ein Wort in ihr gesagt hatte. Was meinte der Fremde mit einer Armee? Warum nicht die Armee?
    Er warf einen Blick zurück zum Haus. Das Küchenfenster war hell erleuchtet und riss einen Teil des staubigen Hofes aus der Dunkelheit. Verzerrte dunkle Flecke bewegten sich darin wie in den chinesischen Schattenspielen, die Miguel vor langer Zeit in Santa Fé gesehen hatte. Er wollte sich gerade abwenden, als die Schatten verschwanden.
    Der Hof wurde dunkel.
    Miguel runzelte die Stirn und sah zum Haus, das schwarz und starr in den Nachthimmel ragte. Das hell erleuchtete Rechteck des Küchenfensters war nicht mehr zu erkennen.
    Wieso haben sie das Licht ausgeschaltet? , fragte er sich irritiert. Sie sitzen doch noch alle in der Küche und essen.
    Einen Moment blieb er unentschlossen vor den Ställen stehen, dann wandte er sich ab und ging auf das Haupthaus zu. Es war kein Laut zu hören, aber das wunderte ihn nicht, denn die Mauern waren dick und die Scheiben der Fenster hatten er und Frank vor einigen Jahren gegen doppelt verglaste ausgetauscht.
    Miguels Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und er bemerkte, dass das Küchenfenster nicht völlig dunkel war. Ein paar dünne Lichtpunkte fielen hindurch, so als habe jemand einen mottenzerfressenen Vorhang zugezogen.
    Er ging näher heran. Kurz dachte er darüber nach, einfach die Tür zu benutzen, aber etwas in seinem Inneren sträubte sich dagegen, hatte plötzlich Angst, das Haus zu betreten.
    Und dann sah er es.
    Blut.
    Kein Vorhang verdunkelte die Scheibe, sondern dunkles, schimmerndes Blut, das in trägen Bahnen über das Glas lief.
    Seine Knie wurden weich. Sein Atem war ein keuchender, lautloser Schrei.
    Etwas schlug von innen gegen das Fenster. Miguel sah rote Haare, die lange Schlieren im Blut hinterließen. Zwei Hände, zu Fäusten geballt, hämmerten dumpf gegen die Scheibe. Weit aufgerissene Augen starrten ihn an. Ein verzerrter Mund formte Worte, aber heraus quoll nur noch mehr Blut.
    Linda!, schrie Miguel innerlich.
    Das Gesicht wurde beiseite gewischt, verschwand in einer Woge aus Blut. Für einen Sekundenbruchteil sah Miguel, was dahinter stand, dann brach er zusammen und übergab sich. Er konnte nicht mehr denken, nicht mehr atmen, spürte nur noch das Zittern seines Körpers und die Panik, die ihn wie ein Gewicht zu Boden drückte.
    Etwas heulte in der Dunkelheit, lang und triumphierend.
    Eine zweite
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