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0711 - Die Nacht der Wölfe

0711 - Die Nacht der Wölfe

Titel: 0711 - Die Nacht der Wölfe
Autoren: Claudia Kern
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Schädel eingeschlagen hatte und er buchstäblich mit einem blauen Auge davongekommen war.
    Es hätte schlimmer ausgehen können.
    Der Zellenblock bestand aus sechs kleinen Räumen, die sich in Dreierreihen auf beiden Seiten des schmalen Korridors befanden, welcher in einer Hintertür endete. Bis auf die letzte Zelle waren alle leer.
    Yellowfeather blieb davor stehen und reichte eine der beiden Kaffeetassen durch die Gitter.
    »Willst du Milch?«
    Miguel stand von seiner Pritsche auf. Er schüttelte den Kopf, nahm die Tasse entgegen und nickte.
    »Zucker?«
    Erneutes Kopfschütteln. Yellowfeather zog mit dem Fuß einen Stuhl heran und setzte sich. Einen Moment lang trank er schweigend. »Das FBI will dich verlegen«, sagte er dann. »Du sollst ins Bezirksgefängnis von Lincoln.«
    Miguel hob den Blick. Er zeigte auf das vergitterte Fenster und packte sich selbst am Kragen, als wolle er sich hinauswerfen.
    »Ja«, sagte Yellowfeather. »Du bist illegal hier. Sie werden dich nach Mexiko abschieben.«
    Miguel streckte eine Hand aus und ließ den Zeige- und Mittelfinger seiner anderen Hand darüber laufen. Seine Aussage war klar: Dann komme ich eben wieder.
    Yellowfeather lächelte. Er hatte seit Jahren gewusst, dass der mexikanische Hilfsarbeiter der McDermonds keine Arbeitserlaubnis besaß, aber da sie ihn gut zu behandeln schienen und er nie auffällig geworden war, hatte er das ignoriert.
    Das FBI in Form von Special Agent Steven Brooke hatte sich weniger kulant gezeigt und Miguel nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung verhaftet. Verhört hatten sie ihn allerdings noch nicht. Brooke hatte behauptet, man wolle auf einen Experten für Gebärdensprache warten, der aus Albuquerque eingeflogen werden musste, aber Yellowfeather hielt das für Unsinn. Schließlich konnte Miguel noch nicht einmal schreiben, wo sollte er also Gebärdensprache gelernt haben?
    Vielmehr vermutete er, dass Brooke die Ausrede benutzte, um den Mexikaner im Gefängnis schmoren zu lassen. Unter normalen Umständen hätte er ihn längst verhören müssen, so konnte er den psychologischen Vorteil noch ein wenig weiter ausspielen.
    Das bedeutete jedoch auch, dass Brooke Miguel für einen Verdächtigen hielt. Auch das konnte Yellowfeather nicht glauben. Nur ein Wahnsinniger war in der Lage, so bestialisch zu morden, und der Mexikaner erschien ihm völlig normal.
    Er wusste, dass Brooke ihm den Kopf abreißen würde, wenn er je herausbekam, was er hier gerade tat, aber er musste es einfach wissen.
    »Hast du gesehen, was auf der Ranch passiert ist?«, fragte er.
    Die Kaffeetasse in Miguels Händen begann zu zittern, dann neigte er den Kopf.
    »Du hast nicht alles gesehen?«, riet Yellowfeather.
    Ein Nicken.
    »Was ist mit dem Täter?«
    Ein erneutes Nicken. Yellowfeather beugte sich vor. »Du weißt, wer der Täter ist?«
    Heftiges Nicken.
    »Wie sah er aus? Kennst du seinen Namen?«
    Miguel hob hilflos die Hände.
    »Tut mir leid, natürlich kannst du mir das nicht sagen.«
    Yellowfeather stand auf und griff nach dem vergilbten Fotokalender an der Wand. Den hatte ihm mal jemand von einem Europabesuch mitgebracht. Er reichte zuerst den Kalender und dann seinen Kugelschreiber durch das Gitter.
    »Ich hoffe, du kannst zeichnen.«
    Er konnte nicht, das wurde Yellowfeather bereits nach wenigen Minuten klar. Miguel setzte auf der weißen Rückseite des Deckblatts - zwei Kühe auf einer Alpenwiese - an, zeichnete ein paar Striche und riss das Blatt frustriert ab. Zwei weitere Blätter gingen den selben Weg, dann legte er den Kalender kopfschüttelnd beiseite.
    Yellowfeather stand auf.
    »Kein Problem, Miguel«, sagte er lächelnd, um seine Enttäuschung zu verbergen. »Irgendwie finden wir schon raus, was du gesehen hast.«
    Er stellte den Stuhl zurück an seinen Platz und ging auf die Tür zu. Vermutlich kam Brooke schon bald von seiner Tatortbesichtigung zurück. Es war besser, wenn er sich dann nicht mehr bei seinem Gefangenen aufhielt.
    Hinter ihm klirrte etwas laut.
    Yellowfeather fuhr herum. Eine Kaffeetasse lag zerbrochen auf dem Boden. Mit zwei Schritten war er zurück vor Miguels Zelle.
    »Was soll das? Du…«
    Er brach ab, als er den Mexikaner sah. Er war aufgestanden, gestikulierte wild und zeigte auf ein Kalenderblatt. Darauf war die Nahaufnahme eines Wolfes zu sehen, der zwischen zwei Sträuchern hindurchblickte.
    »Ein Wolf.«
    Miguel nickte, schüttelte dann den Kopf. Er hielt das Kalenderblatt vor sein Gesicht, zeigte darauf und schlug mit
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