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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche
Autoren: Elizabeth George
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Darling.« Ich wandte den Kopf zur Tür.
    Sie hatte gebadet und sich angekleidet, ein langes schwarzes Oberteil mit passender langer Hose. Sie hatte Lippenstift aufgelegt und sich frisiert. Sie trug ein Pflaster auf der Stirn.
    »Bist du hungrig?« fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf. Sie kam ins Zimmer, ging zum Chesterfield-Sofa und faltete die Decken, mit denen wir sie warmgehalten hatten. Sie glättete sie und legte sie säuberlich übereinander. Das Spitzendeckchen voller Blutflecken faltete sie ebenfalls und legte es genau in die Mitte der obersten Decke des Stapels. Dann setzte sie sich wie am Donnerstag morgen in die Ecke des Sofas, die meinem Platz am nächsten war.
    Ihr Blick war ruhig, als sie mich ansah. »Ich bin in deiner Hand, Olivia«, sagte sie, und da erkannte ich, daß endlich alle Macht bei mir lag.
    Was für ein merkwürdiges Gefühl! Das Wissen barg keinerlei Triumph in sich, nur Schrecken, Furcht und die bedrückende Last der Verantwortung. Ich wollte nichts von alledem, am wenigsten letzteres.
    »Warum?« fragte ich sie. »Sag mir wenigstens das. Ich muß es verstehen können.«
    Ihr Blick verließ den meinen einen Moment lang und schweifte zu dem Gemälde an der Wand. Dann kehrte er zu meinem Gesicht zurück. »Es ist wirklich komisch«, sagte sie.
    »Was?«
    »Wenn man bedenkt, daß es nach all dem Kummer, den wir uns im Lauf der Jahre gegenseitig zugefügt haben, nun am Ende unserer beider Leben darauf hinausläuft, daß wir einander brauchen.« Sie sah mich unverwandt an, und ihre Miene veränderte sich nicht. Sie wirkte völlig ruhig, nicht resigniert, sondern bereit.
    »Ein Mensch ist umgekommen«, entgegnete ich. »Und wenn hier jemand etwas braucht, dann ist es die Polizei. Sie will sicher Antworten auf ihre Fragen. Was willst du ihnen sagen?«
    »Wir brauchen einander«, wiederholte sie. »Du und ich, Olivia. So liegen die Dinge. Jetzt. Am Ende des Wegs.«
    Ich fühlte mich von ihrem Blick gebannt wie das Kaninchen von dem der Schlange. Ich zwang mich, zum offenen Kamin hinüberzublicken, zu dem Kaminaufsatz aus massivem Ebenholz mit der Uhr in der Mitte, die in der Nacht von Königin Viktorias Tod für immer angehalten worden war. Mit dieser symbolischen Handlung hatte mein Urgroßvater das Ende einer Ära betrauert. Mir war die angehaltene Uhr immer Beweis dafür gewesen, welche Macht die Vergangenheit über uns hat.
    Mutter sagte mit leiser Stimme: »Wärst du nicht hier gewesen, als ich nach Hause kam, hätte ich nicht deine ...« Sie geriet ins Stocken, weil sie offensichtlich nach einer beschönigenden Wendung suchte. »Hätte ich nicht deinen Zustand gesehen - was diese Krankheit dir antut -, ich hätte mir das Leben genommen. Ich hätte es am Freitag abend getan, ohne das geringste Zögern, als ich erfuhr, daß man Ken tot im Haus gefunden hatte. Ich hatte die Rasierklinge da. Ich ließ die Badewanne vollaufen, um das Blut schneller zum Fließen zu bringen. Ich setzte mich ins Wasser und hielt die Klinge an mein Handgelenk. Aber ich brachte es nicht fertig, den Schnitt auszuführen. Dich gerade jetzt im Stich zu lassen, dich allein diesem schrecklichen Tod ins Auge blicken zu lassen, ohne zur Stelle zu sein, um dir irgendwie zu helfen ...« Sie schüttelte den Kopf. »Die Götter müssen sich kaputtlachen über uns, Olivia. Jahrelang habe ich mir gewünscht, meine Tochter würde wieder nach Hause kommen.«
    »Und ich bin gekommen«, sagte ich.
    »Ja.«
    Ich strich mit der Hand über den alten Plüsch und fühlte die Unebenheiten des abgenützten erhabenen Musters. »Es tut mir leid« sagte ich. »Ach, wie ich das alles verpfuscht habe.«
    Sie erwiderte nichts. Sie schien noch auf etwas zu warten. Reglos saß sie im schwindenden Licht des Nachmittags und beobachtete mich, während ich im stillen die Frage formulierte und den Mut sammelte, sie noch einmal zu stellen. »Warum hast du es getan, Mutter? Hast du ... Brauchst du Geld oder was? Hast du an die Versicherung für das Haus gedacht?«
    Sie legte die Finger ihrer rechten Hand auf den Trauring an ihrer linken. »Nein«, antwortete sie.
    »Was denn?«
    Sie stand auf und ging zum Erkerfenster. Sie legte den Telefonhörer wieder auf die Gabel. Einen Moment blieb sie mit gesenktem Kopf stehen, die Fingerspitzen leicht auf der Tischplatte abgestützt. »Ich muß die Glasscherben hier aufkehren«, meinte sie.
    »Mutter! Sag mir die Wahrheit.«
    »Die Wahrheit?« Sie hob den Kopf, doch sie drehte sich nicht zu mir. »Liebe,
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