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0624 - Die Tränen der Baba Yaga

0624 - Die Tränen der Baba Yaga

Titel: 0624 - Die Tränen der Baba Yaga
Autoren: Werner Kurt Giesa
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sie aneinander haften ließ.
    Hell flackerten die Flammen, ließen Licht und Schatten einen Totentanz aufführen. Der alte eiserne Kohleofen mit dem langen Kaminrohr stand auf vier Beinen, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen von Hühnern besaßen. Auf dem Boden um den Ofen herum lagen locker Zügel, als handele es sich bei dem gußeisernen Ungetüm um ein aufgeschirrtes Reittier.
    Die Mundwinkel der alten Hexe zuckten vor lautlosem Gelächter. Sie drehte die Hand, schien nach jemandem oder etwas greifen zu wollen und schloß die dürren, knochigen Finger doch nur um scheinbar nichts. Sie spürte die Glut nicht einmal.
    »Zamorra«, raunte sie wieder.
    Sie fühlte den Kontakt, der zustandegekommen war und den Meister des Übersinnlichen jetzt nicht mehr losließ. Über die Flammen ihres Zauberofens hatte sie ihn berührt und dabei wie schon beim ersten Kontakt vor Jahren feststellen müssen, daß eine starke Magie ihn schützte - damals wie heute. Es war selbst für sie, die Baba Yaga, schwer, diese Abschirmung zu durchdringen.
    Es gelang ihr auch nur, weil er sich in unmittelbarer Nähe seines Kaminfeuers befand. Hätte er sich in einem anderen Raum befunden, wäre die Verbindung nicht zustandegekommen.
    Lange Zeit hatte sie ihn in Ruhe gelassen. Beinahe hätte sie ihn sogar vergessen, aber plötzlich hatte sie sich jetzt wieder an ihn erinnert und beschlossen, ihm seine Ruhe zu nehmen.
    Er war es, der etwas für sie tun konnte, was zu tun ihr selbst nicht möglich erschien.
    Wieder lachte sie lautlos auf.
    Sie konnte seine Verunsicherung spüren, seine Erinnerung an das, was damals geschehen war. Und endlich sagte sie ihm, was er für sie tun sollte.
    Um ihn damit in eine noch größere Unsicherheit zu stürzen…
    Langsam zog sie die unversehrte Hand wieder aus den Flammen zurück und sah, wie sein Abbild im Feuer verblaßte.
    »Du wirst es tun«, flüsterte sie. »Oh, ich bin ganz sicher, daß du es tun wirst… finde meine Tränen…«
    Ihr Lachen wurde zum zufriedenen Kichern, als sie den Raum wieder verließ, in dem ihr Ofen stand…
    ***
    Zamorra stöhnte auf. Bilder tauchten in seiner Erinnerung auf.
    Schon einmal hatte Baba Yaga mit ihm Verbindung aufzunehmen versucht, indem sie ihn durch das Feuer gerufen hatte. Es war eine ganz ähnliche Situation gewesen, aber damals hatte sich noch mehr abgespielt - die alte Hexe hatte ihn nicht nur gerufen, sondern ihn regelrecht gezwungen, zu ihr nach Rußland in ihren Machtbereich zu kommen, indem sie Menschen mit ihrer Magie terrorisierte, indem sie auf ihrem Ofen reitend eine Spur der Verwüstung hinter sich her zog.
    Er war ihr in die Falle gegangen.
    Irgendwie war ihm gar nichts anderes übriggeblieben, denn er hatte sie in ihrem zerstörerischen Tun doch stoppen müssen! Zusammen mit seinem russischen Kollegen Saranow hatte er es versucht, und um ein Haar wären sie dabei beide von der alten Hexe getötet worden.
    Er glaubte, wieder das Seil zu spüren, die Schlinge um seinen Hals, die sich mit grausamer Unaufhaltsamkeit zusammenzog. Glaubte sich wieder in miniaturisierter Gestalt in den staubigen Knochenkammern des Hexenhauses im Kampf gegen Ratten und Staubwolken zu sehen… und es erschien ihm immer noch wie ein Wunder, daß sie jene Aktion überlebt hatten. Denn sein Amulett hatte versagt, hatte ihm nicht mit seiner magischen Kraft helfen können…
    Eine Aktion, die nur ein Ablenkungsmanöver hatte sein sollen, wie ihm Baba Yaga schließlich gestanden hatte.
    »Eigentlich wollte ich euch beide töten«, hatte die alte Hexe gekrächzt, deren Stimme er in seiner Erinnerung jetzt wieder zu hören glaubte, als sei es eben erst gewesen. »Aber ihr habt mir Spaß gemacht. Du gehörst zwar zu den Feinden, aber ich respektiere dich. Du hast dich besser geschlagen, als ich dachte. Ach, zum Teufel, es ist genug getötet worden. Ich habe keine Lust mehr. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Dann erinnere ich mich an euch und werde euch holen. Jetzt aber verschwindet. Außerdem ist die Zeitspanne verstrichen.«
    »Welche Zeitspanne?« hatte Zamorra überrascht hervorgestoßen.
    »Die Frist, die Stygia mir setzte, um dich zu beschäftigen.«
    Und er hörte sich selbst wieder antworten: »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß wir dich ungeschoren gehen lassen. Nach allem Unheil, das du in diesen Landstrich gebracht hast, und nach all deinen Morden…«
    Sie hatte ihn ausgelacht. »Ah, du machst mir wirklich Spaß. Mehr, als ich dachte. Natürlich glaube ich
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