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054 - Gabe und Fluch

054 - Gabe und Fluch

Titel: 054 - Gabe und Fluch
Autoren: Bernd Frenz
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kamen, sprang eine grölende Meute von Bord. Langläufige Flinten in den Händen, stürmten wilde Gestalten durch das knietiefe Wasser.
    Ihre fellbesetzten Hosen und Jacken ließen ebenso auf ein Reitervolk aus kalten Gefilden schließen wie die spitz zulaufenden Mützen mit den Ohrenklappen. Ob sie aber den Rücken eines Yak den schwankenden Schiffsplanken vorziehen mochten oder nicht, zu Fuß agierten sie zumindest mit tödlicher Präzision. Kaum auf dem Trockenen angelangt, legten sie auf das Trio im Felsweg an.
    Fudoh riss sich die Fingerspitzen blutig, als er den letzten Lavaschutt zur Seite schaufelte. »Los, du packst Frau Uda unter der rechten Achsel«, wies er Keiko an. Gemeinsam zerrten sie die Köchin mit den blutverklebten Haaren in die Höhe.
    »Lasst mich doch liegen«, bat Frau Uda stöhnend, aber die Jugendlichen schleiften sie einfach mit. Schüsse peitschten über das Trio hinweg und hallten als Querschläger von den Felsen wider. Wie durch ein Wunder blieben sie unverletzt.
    Fudoh machte sich keine Gedanken über die Gefahr, in der sie schwebten. Wir müssen die Biegung erreichen, war alles, woran er noch denken konnte. Dann haben wir es geschafft.
    Ehe die Vorderlader ein zweites Mal feuern konnten, tauchten die Drei hinter der Krümmung ab. Sobald die Last der unmittelbaren Todesgefahr von ihm abfiel, spürte Fudoh die Schmerzen, die sein Körper bisher verdrängt hatte. Keuchend lehnte er sich an die Felswand. Seine Lungen brannten, als ob er gemahlenen Glasstaub eingeatmet hätte.
    Lautes Wutgeheul hallte vom Strand herüber. Die Felljacken nahmen die Verfolgung auf.
    Verzweifelt starrte Fudoh auf den vor ihnen liegenden Pfad, der sich zu dem Plateau schlängelte, auf dem die Fundamente des alten Tokio ruhten. Bis zum nächstgelegenen SubCity-Abstieg ging es oben gut zwei Kilometer über freies Gelände. Dort waren sie den Flinten der Angreifer hilflos ausgeliefert.
    »So schaffen wir es nicht«, seufzte er, heftig um Atem ringend.
    Keiko sah ihn aus unnatürlich geweiteten Augen an. Ihre Nerven langen blank. »Willst du vielleicht aufgeben?«, fauchte sie wütend.
    »Nein, keineswegs.« Fudoh bedachte sie mit einem harten Blick, der sie erschauern ließ.
    »Aber einer muss die Kerle aufhalten, damit die anderen sicher heimkommen.« Er bückte sich nach einem festen Ast, der aus irgendeinem Brennholzstapel gerutscht sein musste, und sah die zerklüftete Felswand empor. An mehreren Stellen ruhten lose Steinbrocken auf den Vorsprüngen. Damit ließ sich vielleicht der Weg blockieren.
    »Ich lasse dich nicht allein zurück«, durchkreuzte Keiko seine Pläne.
    »Und ob du weitergehst!«, forderte er in einem kalten Ton, der ihn selbst erschreckte.
    »Wäre es dir vielleicht lieber, wenn sie uns alle Drei erwischen?« Ehe Keiko auf die Frage antworten konnte, fügte er hinzu: »Denk daran, was einer Frau in Gefangenschaft blüht.«
    Es war nicht besonders fair, die Ängste des Mädchens auf diese Weise zu schüren, aber wenigstens erzielten seine Worte die gewünschte Wirkung. Keiko schlang sich Frau Udas linken Arm um die Schulter und schleppte sie weiter.
    Den Ast im Hosenbund, kletterte Fudoh behende die raue Felswand empor. Dank seines geringen Gewichts und der schlanken Finger fand er selbst an Stellen Halt, an denen ein Erwachsener kapitulieren musste. Schnaufend erreichte er einen Vorsprung, auf dem ein herabgestürzter Brocken von der Größe eines Medizinballs ruhte.
    Fudoh packte ihn mit beiden Händen, um ihn näher an die Kante zu wuchten. Das Ding war verteufelt schwer, doch die Sorge um Keiko vervielfachte seine Kräfte. Schnaufend platzierte er ihn so, dass es nur eines gezielten Anstoßes bedurfte, um ihn direkt in die Wegbiegung zu stürzen. Dann zog er einen flachen Stein heran, der als Angelpunkt für den Ast dienen sollte. Fudoh schob den provisorischen Hebel so weit unter den großen Brocken, dass dieser zu schwanken begann.
    Sofort hielt der Junge inne, um nicht den Überraschungsmoment zu verschenken. Atemlos lauschte er nach seinen Verfolgern, doch sein Herz hämmerte so hart gegen den Brustkorb, das Fudoh nicht ganz sicher war, ob er ihre Schritte oder nur den eigenen Pulsschlag hörte.
    Wenigstens konnte er sehen, dass sich Frau Uda zunehmend von ihrer Benommenheit erholte. Schwer auf Keiko gestützt, hatte sie bereits die Hälfte des verbliebenen Weges zurückgelegt. Die beiden Frauen würden es bis SubTokio schaffen, dafür wollte er sorgen.
    Vom eigenen Heldenmut
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