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0493 - Janes Umkehr

0493 - Janes Umkehr

Titel: 0493 - Janes Umkehr
Autoren: Jason Dark
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ist da!«
    Ich hörte zwar die Antwort, konnte die Worte aber nicht verstehen, weil sie gegen den Wind gerufen worden waren.
    Neben dem Mann mit dem Megaphon blieb ich stehen. Der ließ seine Flüstertüte sinken und nickte mir zu. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Sir.«
    »Dann sind Sie Corporal Blaine?«
    »Richtig. Wollen Sie mit der Frau sprechen?« Er hielt mir das Megaphon hin. Ich nahm es zwar, führte es aber noch nicht an die Lippen.
    »Sagen Sie mal, Corporal, kennen Sie die Person?«
    »Nein, nie zuvor gesehen.«
    Ich schaute zum Schornstein hin. Die Person auf der ersten Plattform wirkte ziemlich klein. Trotzdem erkannte ich, daß sie ein Messer in der Hand hielt. Der Wind spielte mit ihren grauen Haaren, die er in die Höhe wehte wie dünne Wattestreifen.
    »Sie scheint schon älter zu sein.«
    »Nehmen Sie das Glas, Sir!«
    »Danke.« Ich preßte die beiden Gummiringe des Glases vor meine Augen, manipulierte etwas an der Scharfeinstellung und hatte mir zuvor das Megaphon zwischen die Beine geklemmt.
    Die mir unbekannte Person stand dicht am Gitter. Sie hielt das Messer jetzt so, daß die Spitze auf ihre Brust wies. Selbst das Zittern ihrer Hand war zu sehen.
    Ein Stück darüber sah ich das Gesicht. Ein graues Gebilde mit dunklen Augen, zahlreichen Falten und schlaffen Wangen. Die Frau trug ein dunkles Kleid und eine lange Strickjacke, die bis über die Hüften reichte. Bekannt kam sie mir nicht vor.
    Ich ließ das Glas sinken.
    »Und jetzt, Sir?« fragte Blaine, als ich ihm den Feldstecher wieder in die Hand drückte.
    »Sorry, aber ich habe sie nie gesehen.«
    »Sie wollte Sie aber sprechen.«
    Ich winkte ab. »Was meinen Sie, wie viele Leute mich kennen, die ich noch nie gesehen habe.«
    »Kann ich mir denken.«
    »Sinclair, verdammt!« Wieder wehte der Schrei zu mir herüber. »Du bist doch da!«
    Jetzt nahm ich die Flüstertüte hoch und drückte sie gegen meinen Mund. »Ja, ich bin hier. Was ist also los? Weshalb wollten Sie mich sprechen, zum Teufel?«
    »Teufel ist gut!« brüllte sie. »Da werde ich gleich sein, wenn du nicht hochkommst!«
    »Wieso? Können Sie nicht zu mir herunterkommen?«
    »Nein, das will ich nicht. Wenn du da unten stehenbleibst, bringe ich mich um!«
    »Soll ich Sie von der Plattform tragen?«
    »Du sollst mir zuhören, Sinclair!«
    Der Corporal schüttelte den Kopf. »So ein Weib habe ich auch noch nicht erlebt.«
    Ein Zuschauer meinte: »Laßt die Alte doch springen! Ihr macht ein Theater.«
    Die Worte ärgerten mich irgendwie. Ich drehte mich nicht um, weil ich den Menschenverächter nicht sehen wollte. Er allerdings hatte meinen Entschluß gefestigt.
    Ich würde zu dieser Person hochklettern!
    Ich drückte Blaine die Flüstertüte in die Hand, dann machte ich mich auf den Weg und hörte noch, wie er mir ein »Viel Glück, Sir« nachrief.
    Ich lief auf den Schornstein zu. Aus der Ferne hatte er schlank ausgesehen, das war er nicht. Der hatte schon einen gewaltigen Durchmesser. An der Außenseite führte eine Leiter hoch. Sie reichte bis an die Spitze heran, unterbrochen wurde sie von drei Plattformen, die um den Schornstein herumliefen.
    Auf der untersten stand die Frau, deren Namen ich auch jetzt noch nicht kannte.
    Ein hinter dem Rücken des Kletterers verlaufendes Stützgitter bewahrte vor einem Absturz in die Tiefe. Die Sprossen bestanden aus Metall, sie waren ziemlich dünn, jedoch stabil und leider feucht.
    Die Gefahr des Abrutschens bestand durchaus.
    Zahlreiche Augenpaare beobachteten meinen Weg in die Höhe. Ich hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Dennoch war es mir nicht möglich, die Frau zu erkennen, weil mir die untere Seite der Plattform die Sicht nahm. An der braunen Fläche klebten Regentropfen. Einige fielen noch nach unten.
    Sie trafen auch mein Gesicht.
    »Na, komm schon, Sinclair. Nicht so lahm, verdammt!«
    »Keine Sorge. Ein alter Mann ist doch kein D-Zug.«
    Ich hörte ihr Lachen, während ich kontinuierlich höherstieg. »Alt ist gut. Was soll ich da erst sagen?«
    Wenn ich sie ablenkte, kam sie nicht auf die Idee zu springen. Deshalb fragte ich: »Wieso das? Wie alt sind Sie denn?«
    »Über dreihundert Jahre!«
    Meine Kletterei stoppte. Entweder wollte sie mich auf den Arm nehmen oder aber…
    »Was ist, Sinclair? Ich höre nichts mehr. Du steigst nicht mehr weiter. Hat es dir die Sprache verschlagen?«
    »Allerdings.«
    »Komm her, dann werde ich es dir erklären.«
    Durch meinen Job war ich ja zahlreiche Verrücktheiten gewohnt, so
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