0445 - Die Macht des Träumers
zu flüchten. Auch vom anderen Ende der Straße näherten sie sich. Zwar nur zu zweit, aber Cascal war nicht sicher, ob sie ihm eine Chance geben würden.
Auch sie bewegten sich bestürzend langsam und mit einer Sicherheit, die ihm fast den Mut nahm. Sie brauchten sich nicht zu beeilen. Er entkam ihnen nicht.
Oder doch? Er sah an der Hausfassade empor. Sie war glatt, bestand aber aus Holz. Wenn er sich irgendwie daran empor arbeiten konnte… aber wie? Er war keine Katze, die Krallen ausfahren konnte. Aber ein Haus zurück gab es allerlei Verzierungen und Simse, an denen er sich emporarbeiten konnte.
Er kehrte zurück, sprang die ersten hölzernen Vorsprünge an und bekam sie auch zu fassen. Im gleichen Moment zog einer der Schwarzgekleideten eine seiner seltsamen Waffen aus dem Gürtel. Es war ein schmales, etwas unterarmlanges Rohr, das er auf Cascal richtete. Etwas blitzte heran, und im nächsten Moment schmetterte eine Messerklinge unmittelbar zwischen Cascals Händen und seinem Gesicht in die hölzerne Hauswand. Erschrocken ließ er los, stürzte auf den Gehsteig zurück. In halber Höhe knallte mit einem dumpfen Laut eine weitere Klinge ins Holz. Eine dritte schlug in einen Geländerpfosten unmittelbar neben seinem Kopf, als er sich aufrichtete.
Entsetzt starrte er das schmale Rohr an, aus dem es abermals aufblitzte. Hastig warf er sich zur Seite. Das Messer zischte an ihm vorbei, schlitzte seinen Hemdsärmel auf. Wieder korrigierte der Schwarzgekleidete, der monoton und langsam wie ein Roboter weiter vorwärts schritt, die »Schußbahn«.
Erneut löste er sein Werfer-Rohr aus…
***
Der Fürst schloß die Augen. Erstellte sein Sehen um. Es kostete ihn ein wenig von seiner Kraft, sich der augenblicklichen Umgebung zu entziehen, ohne sie aus seiner Kontrolle zu entlassen. Doch er hatte die Matrix gespeichert. Jederzeit konnte er sie wieder so übernehmen, wie sie sich ihm zuletzt gezeigt hatte. Er sandte seinen Blick in jene Region, die er nicht unmittelbar kontrollieren konnte. Dorthin, wo seine Beauftragten den Fremden jagten, der unerlaubt in die Welt des Fürsten vorgedrungen war. Er fand den Ort und die Situation, und er war gar nicht zufrieden mit dem, was er sah. Obgleich es seine Welt war, konnte er jenen Teil nicht vollständig kontrollieren. Das Geschehen entwickelte eine eigene Dynamik. Er erkannte, daß er selbst dort körperlich präsent sein mußte, wenn er eine unmittelbare Kontrolle und Steuerung erreichen wollte. Diese Erfahrung war für ihn neu, allerdings hatte er sich auch noch nie vorher in einer ähnlichen Lage befunden.
Er wollte seine Burgfestung jetzt nicht verlassen. So mußte er sich mit dem abfinden, was geschah. Seine Beauftragten waren immerhin zu fünft. Wenn sie den Fremden nicht erwischten, würden ihre Köpfe rollen. Der Fürst lachte leise; sie würden nicht einmal Bedauern darüber empfinden. Denn sie besaßen keine Gefühle. Er wollte es nicht.
Er sah, daß der Verfolgte sich in einer ausweglosen Situation befand. Er konnte nicht mehr entfliehen. Also würden die Beauftragten ihn bald heranschleppen. Der Fürst fragte sich wiederum, woher er diesen Mann zu kennen glaubte. Dabei wußte er, daß er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Aber da war etwas, das ihm sagte, daß der andere sich schon einmal in seiner Nähe befunden hatte.
Der Fürst wandte sein Augenmerk von der Szene ab und fand die Burgfestung wieder. Nichts hatte sich verändert. Die Mädchen tanzten immer noch für ihn, obgleich ihnen aufgefallen sein mußte, daß er zwischendurch die Augen geschlossen hatte und ihren aufreizenden Bewegungen nicht gefolgt war. Dennoch waren sie unermüdlich in ihren Versuchen, ihn zu erfreuen. Er lächelte. Die Mädchen hatte eine Belohnung verdient. Er wollte ihnen bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit die Freiheit schenken.
Aber er würde sie weiter beobachten. Es interessierte ihn, was sie dann mit ihrer Freiheit anfangen würden. Ob sie überhaupt in der Lage waren, selbständig zu handeln.
Harfenklänge, Drehleier, Flöte und Dudelsack begleiteten den Tanz der schönen Mädchen. Der Fürst mochte diese Musik. Sie erinnerte ihn an alte Zeiten. An damals, vor Jahrhunderten, als alles noch anders gewesen war, als die Götter noch Götter waren und die Zauberer noch Zauberer. Als es noch Magie und Wunder gab. Eines Tages würde er diese Zeit zurückholen, das hatte er sich vorgenommen. Doch noch war es nicht so weit. Er mußte erst lernen, die Zukunft zu
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