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0407 - Am Tisch des Henkers

0407 - Am Tisch des Henkers

Titel: 0407 - Am Tisch des Henkers
Autoren: Jason Dark
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Schweißtropfen seinen Weg zum Kinn. »Darf ich mir die Frage erlauben, wer Sie sind und wo Sie sich aufhalten?«
    »In deiner Nähe.«
    »Okay, das weiß ich. Aber wer sind Sie?«
    »Überlege mal genau. Kennst du meine Stimme nicht?«
    Leroy Thompson hob die Schultern. »Momentan kann ich damit nichts anfangen.«
    »Nachdenken.«
    »Tut mir Leid.«
    »Weiter zurück, Leroy. Noch weiter, als dir eigentlich lieb sein kann. Ich gebe dir ein Stichwort: Indien.«
    Leroy Thompson hatte grinsen wollen, aber das verging ihm. Indien war ein Thema, auf das er nicht gern angesprochen werden wollte. Das lag lange zurück. Zu viele Erinnerungen hingen daran.
    Gute und auch verdammt böse.
    »Indien ist vorbei.«
    »Für mich nicht.«
    Thompson holte tief Luft. »Verdammt noch mal, wer bist du denn? Ich kann dich nicht sehen.«
    »Dafür hören.«
    »Na und?«
    »Leroy Thompson. Ich will von dir etwas. Von dir und deinen anderen beiden Freunden. Kannst du dir jetzt denken, wer ich bin?«
    »Nein, noch immer nicht.« Die Antwort klang ärgerlich, denn der Mann fühlte sich auf den Arm genommen. Vielleicht hätte er die Waschräume längst verlassen, wenn der andere ihn nicht auf Indien angesprochen hätte. Denn da gab es einige Dinge, die hatte er nicht einmal seiner Tochter erzählt. Zudem hatte der Unsichtbare von seinen beiden Freunden erzählt. Da konnte er eigentlich nur Sir Reginald Clifton und Arthur Kennon Drinkfield gemeint haben.
    »Fällt es dir ein?«
    »Nein, ich warte noch.«
    Der andere lachte. »Hat sich denn meine Stimme so stark verändert, oder bist du alt geworden?«
    »Wahrscheinlich beides.«
    »Ja, das wird es sein.« Wieder hörte Leroy das Lachen. »Aber es ist nichts vergessen worden. Ich habe alles behalten und in meiner Erinnerung gespeichert. Ich muss mich jetzt zeigen, man zwingt mich dazu. Du wirst auch gleich mehr spüren, Leroy. Bleib so stehen, bleib nur so stehen wie jetzt.«
    Obwohl Thompson nicht zu den Befehlsempfängern zählte, tat er doch, was man ihn geheißen hatte. Er grübelte über die Stimme nach und darüber, wo er sie schon einmal gehört hatte.
    Das war ein kaum zu identifizierendes Flüstern gewesen. Musste er diesen Mann tatsächlich kennen?
    Er sah nichts, und er hörte auch nichts, aber etwas befand sich hinter ihm. Ob es der Mensch war, der mit ihm gesprochen hatte, konnte er nicht sagen, jedenfalls fühlte sich Leroy Thompson nicht eben wohl in seiner Haut. Das merkte er auch an dem Schauer, der über seinen Rücken rann.
    »Ich bin bei dir, ganz nahe, Leroy Thompson. Deine Vergangenheit hat dich eingeholt.«
    Jetzt wollte es der Mann wissen. Umdrehen und…
    Er kam nicht mehr dazu.
    Urplötzlich lag etwas Kaltes und auch Scharfes an seinem Nacken, und er verspürte einen kurzen, ziehenden Schmerz, als die Haut einriss und ein Blutstropfen aus der Wunde quoll. Unwillkürlich duckte er sich noch tiefer, seine Augen weiteten sich, verschwommen sah er seine Fußspitzen und vernahm wieder dieses raue, unheimliche Flüstern der anderen Gestalt.
    »Was da in deinem Nacken liegt, ist ein Schwert, Leroy Thompson! Ein Schwert, verstehst du?«
    »Ja!«, ächzte der Mann.
    »Und jetzt denke nach. Indien, ein Schwert, der Auftrag, Leroy, den ihr drei mir gegeben habt.«
    Thompson schwitzte plötzlich so stark, wie es selbst in den Tropen nicht der Fall gewesen war. Es war das schlechte Gewissen!
    Mit kaum hörbarer Stimme fragte er: »Bist du der Henker?«
    »Ja, der bin ich, Thompson. Und was da in deinem Nacken liegt, ist mein altes Mordschwert.«
    Wieder hörte er das Pfeifen der Klinge, sah den Kopf des Verurteilten fliegen, vernahm auch das Grölen der Menge, die plötzlich schwieg, als es so weit war. Und er sah die Gesichter seiner Kameraden, die dem Schauspiel unbewegt zusahen und ihren Whisky dabei tranken. Sie hatten es getrieben, sie waren Schweine gewesen und gleichzeitig die Herren in ihrem Bezirk.
    Blut war vergossen worden. Viel Blut, und oft genug das Blut unschuldiger Menschen.
    Das Bild verschwand und trieb wieder zurück in die Erinnerung, wo es hergekommen war. Die Realität hatte Leroy Thompson wieder. Nach wie vor spürte er den kalten Druck des Schwertes in seinem Nacken, aber den Träger der Waffe sah er nicht.
    »Erinnerst du dich nun, Leroy Thompson?« Es war dieser kalte Hohn in der Stimme, der Thompson fast bis an den Wahnsinn trieb.
    Dabei wusste er genau, dass der Henker nicht mehr lebte. Er war einem Unfall zum Opfer gefallen, so jedenfalls lautete die
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