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040 - Die Tochter der Hexe

040 - Die Tochter der Hexe

Titel: 040 - Die Tochter der Hexe
Autoren: Hugh Walker
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ist.“
    „Ja, gnä’ Frau.“
    Eines der Mädchen begann einen rhythmischen Singsang in einer Sprache, die nur aus Vokalen zu bestehen schien, wenn es überhaupt eine Sprache war. Aber es sollte ja ein Gebet sein. Dazwischen hörte ich, wie die andere das Fenster öffnete.
    Ich lauschte gespannt, obwohl mir nicht klar war, wovon sie überhaupt sprachen. Jedenfalls ging es um eine ihrer verdammten Hexenmachenschaften, soviel war mir klar. Die beiden Mädchen lernten den ganzen Zauber offenbar erst. Bestimmt hatten sie nichts Gutes vor. Und dann diese Namen: Luvia, Tavala. Und Lilith! Sie beteten Lilith an!
    Ich kramte in meinem Gedächtnis. Lilith war mir keine unbekannte Gestalt. Dem Talmud nach war sie Adams erste Frau, die aus dem Paradies gejagt wurde, weil sie sich ihm nicht hingeben wollte. Sie wurde dazu verdammt, als Geist weiterzuexistieren. Die Legende machte sie zum Todfeind neugeborener Kinder. Auf ihre Art war sie wohl die erste Hexe. Es schien so etwas wie einen Kult, eine Religion zu geben, denn diese Menschen hier in Bernheim beteten zu Lilith, mordeten in ihrem Namen – und offenbar mit höchst potenten magischen Kräften!
    Meine Gedanken wurden durch einen peinvollen Schrei aus einer menschlichen Kehle unterbrochen. Er kam durch das offene Fenster von jenseits des Hofes, und ich erinnerte mich, daß sich dort das kleinere Gebäude befand. Der Schrei war langgezogen und wollte nicht enden. Ich schauderte.
    „Genug!“ rief die Tamil scharf. „Du bringst ihn um!“
    Das Mädchen, das sich am Tisch zu schaffen gemacht hatte, zuckte zurück.
    Der Schrei brach ab, und im letzten, schrillen Ton war erkennbar, daß es sich um einen Mann handelte.
    „Du mußt vorsichtiger sein, Tavala.“ schalt die Alte.
    „Es ist so schwer, aufzuhören“, erwiderte das Mädchen mit berauschter Stimme, mit mühsam unterdrückter Erregung.
    „Dann bezwinge dich. Du bist nicht die einzige, die noch zu lernen hat. Die Zeiten haben sich geändert. Es ist nicht mehr so gefahrlos zu töten. Wenn uns ein Opfer in den Schoß fällt wie dieses, das Lilith uns beschert hat, damit wir uns in ihren Kräften üben, so wollen wir es nicht leichtfertig vergeuden, jedenfalls nicht, um unserer Befriedigung willen. Sei gewarnt, kleine Bestie. Wenn du tötest ohne daß ich es beschlossen habe, ist es gegen ihren Willen. Du kennst die Strafe für Ungehorsam?“
    „Ja, gnädige Frau.“
    „Du wirst verbannt sein für alle Zeiten in das Reich der Stürme jenseits von Babylon“, fuhr sie fort, und es klang, als zitiere sie aus einem heiligen Buch.
    „Ja, gnädige Frau.“ Die Stimme des Mädchens zitterte. Die Drohung mußte offenbar Schrecknisse bergen, die ich als Außenstehender nicht erkennen konnte. Vielleicht schien ihr dieses obskure Reich der Stürme gleich der Hölle, obwohl mir nicht klar war, wie sie es mit Lilith in Verbindung brachten.
    „Jetzt du, Luvia. Versuch es, aber denke an meine Warnung!“
    „Muß ich?“ fragte das Mädchen ebenso zitternd.
    „Ich denke doch“, erklärte die Tamil mit einer Spur von Zynismus, der an der Kleinen wohl verloren war, deshalb fügte sie scharf hinzu: „Oder hältst du Zaghaftigkeit und Furcht für Eigenschaften, die sich einer zukünftigen Priesterin der Lilith ziemen?“
    „Nein, gnä’ Frau“, erwiderte das Mädchen furchtsam.
    „Nimm die Nadel!“
    „J … ja!“
    „Vorwärts, die Formel!“
    Wieder begann dieser Singsang. Als er endete, sagte die Tamil ungeduldig: „Worauf wartest du?“
    Drüben schrie wieder der Mann spitz auf, und in mir krampfte sich alles zusammen. Aber ich sah, daß auch das Mädchen sofort zurückzuckte. Der Schrei brach ab.
    Dann brachte sie ihr Gesicht ganz nahe an die Szenerie auf dem Tisch.
    „Die Puppe … sie …“ Ihre Stimme versagte beinahe. „Sie blutet!“
    Auch die Alte beugte sich nun vor. Nach einem Augenblick sagte sie fast ehrfürchtig: „Du hast recht, Kind. Deine Kräfte sind außergewöhnlich. Du brauchst nicht länger auf die Weihe zu warten. Ich werde morgen unseren Schwestern davon berichten. Schon wenn der volle Mond kommt, wirst du am Altar stehen.“
    In diesem Augenblick schlug eine Glocke oben im Haus an. Verdammt, wenn sie mich nun sahen. Ich zögerte keine Sekunde und huschte den Korridor zurück zu meinem Versteck unter der Treppe. Ich hatte mich kaum verborgen, als die Alte in Begleitung eines der beiden Mädchen heraus gestürmt kam. Sie eilten nach oben, ohne überhaupt in meine Richtung zu blicken. Die
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