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038 - Verbotene Sehnsucht

Titel: 038 - Verbotene Sehnsucht
Autoren: Elizabeth Hoyt
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gemaßregelt hatte. Für einen Moment legten die strengen männlichen Züge Reynauds sich über die feineren, weiblichen seiner Schwester. Er meinte, Reynauds dunkle Brauen zu sehen, die sich zusammenzogen, seine nachtschwarzen Augen, die nichts Gutes verhießen.
    Schaudernd verdrängte er diese Erscheinung der Vergangenheit und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Lady Emeline zu sagen hatte, die höchst lebendig vor ihm stand.
    „Sie und Ihre Schwester könnten mir morgen einen Besuch abstatten. Danach werde ich Sie wissen lassen, wie ich mich entschieden habe. Zum Tee, wenn es Ihnen recht ist. Sie trinken doch Tee, oder?"
    „Ja."
    „Ausgezeichnet. Um zwei?"
    Fast belustigte es ihn, wie sie hier die Befehle gab. „Das ist sehr gütig von Ihnen, Ma'am."
    Einen Augenblick sah sie ihn argwöhnisch an, dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und eilte zum Haus zurück. Er folgte ihr gemächlich und in einigem Abstand. Während er ihrem geraden, anmutigen Rücken und ihren wogenden Röcken nachblickte, klopfte er kurz auf seine Rocktasche, hörte beruhigt das vertraute Rascheln von Papier und überlegte derweil, wie Lady Emeline ihm wohl am besten für seine Zwecke dienlich sein könnte.

    „Das verstehe ich nicht", tat Tante Cristelle an jenem Abend kund. „Wenn der Gentleman so sehr die Ehre deiner Patronage wünscht, warum hat er sich dann nicht auf üblichem Wege darum bemüht? Er hätte einen Freund bitten sollen, ihn vorzustellen."
    Tante Cristelle war die jüngere Schwester von Emelines Mutter, eine hochgewachsene, weißhaarige Dame mit einem furchteinflößend geraden Rücken und himmelblauen Augen, die lieblich hätten sein können, es aber nicht waren. Sie hatte nie geheiratet, was Emeline insgeheim darauf zurückführte, dass die Männer ihrer Generation allesamt Angst vor ihr gehabt hatten. Seit fünf Jahren, seit dem Tod von Daniels Vater, lebte Tante Cristelle nun schon bei Emeline und ihrem Sohn.
    „Vielleicht wusste er einfach nicht, wie es sich gehört", meinte Emeline und begutachtete die auf dem Tablett offerierte Auswahl an Fleischgängen. „Oder es schien ihm zu umständlich und zeitraubend, die langwierige Etikette zu befolgen.
    Immerhin werden sie nur kurze Zeit in London sein." Sie zeigte auf eine Scheibe Rinderbraten und lächelte dem Diener dankend zu, als er ihr vorlegte.
    „Mon Dieu, wenn er so ein täppischer Hinterwäldler ist, hat er in unseren Kreisen ohnehin nichts verloren." Ihre Tante nippte am Wein und verzog die Lippen, als wäre er sauer.
    Emeline gab sich unverbindlich. Tante Cristelles Einschätzung von Mr. Hartley mochte ja auf den ersten Blick zutreffen - er hatte wirklich einen etwas hinterwäldlerischen Eindruck gemacht. Seine Augen hatten indes eine ganz andere Geschichte erzählt. Fast war es ihr vorgekommen, als würde er sie auslachen, gerade so, als wäre sie die Naive und wisse nicht über die Welt Bescheid.
    „Und was gedenkst du zu tun, wenn das Mädchen genauso unkultiviert ist wie der Bruder?" Tante Cristelle sah sie mit einer Miene übertriebenen Entsetzens an. „Was, wenn sie ihr Haar in zwei langen Zöpfen trägt? Was, wenn sie zu laut lacht? Was, wenn sie keine Schuhe an den Füßen trägt und ihre Füße schmutzig sind?"
    Diese erschreckende Vorstellung war zu viel für die alte Dame. Eilig winkte sie den Diener herbei, damit er ihr Wein nachschenke. Emeline musste sich ein Lächeln verkneifen.
    „Er ist anscheinend sehr vermögend. Ich habe mich bei den anderen Damen diskret nach ihm erkundigt. Alle haben mir bestätigt, dass Mr. Hartley einer der reichsten Männer Bostons sein soll. Er bewegt sich dort in den besten Kreisen."
    „Pah", tat die Tante die besten Kreise Bostons ab.
    Emeline ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und schnitt in ihre Bratenscheibe. „Und selbst wenn sie etwas provinziell sind, Tante, dass sie keine standesgemäße Erziehung genossen hat, können wir dem Mädchen wohl kaum zum Vorwurf machen."
    „Mais ouü", verkündete Tante Cristelle so laut, dass der Diener fast die Karaffe hätte fallen lassen. „Aber ja doch, natürlich können wir das! Unsere Gesellschaft gründet auf Manieren. Wie sollten wir denn die Wohlgeborenen vom gemeinen Fußvolk unterscheiden, wenn nicht durch ihre Manieren?"

    „Mag sein. Wahrscheinlich hast du recht."
    „Natürlich habe ich recht", gab ihre Tante zurück.
    „Mmmh", machte Emeline und stocherte in dem Braten herum, auf den sie auf einmal keinen Appetit mehr verspürte.
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