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038 - In den Fängen des Weltrats

038 - In den Fängen des Weltrats

Titel: 038 - In den Fängen des Weltrats
Autoren: Claudia Kern
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dachte.
    An diesem Morgen, als das erste Licht der Sonne über die grasbewachsenen Dünen strich, kniete er auf einem Siilfell und sprach zu den Feuergöttern.
    Ihnen hatte er sein Leben gewidmet, hatte sich von allen menschlichen Freuden losgesagt, um sich ihnen rein und in völliger Askese zu nähern.
    Sie belohnten ihn, indem sie auf seine Fragen antworteten -in Bildern und Visionen, die er jedoch nicht immer begriff.
    Der Schamane hörte, wie das Lager um ihn herum erwachte. Schon bald würden die Krieger ihn um seinen Rat bitten, würden fragen, wohin die Stämme nun ziehen sollten, aber er war sich nicht sicher, ob er die Vision der Götter richtig verstanden hatte.
    Verlangten sie wirklich von ihm, die Stämme von der Küste wegzuführen, tief in das unbekannte Land hinein?
    Der Schamane dachte an all das, was sie verloren hatten, seit sie vor mehr als drei Monden aus Nuu'ork aufgebrochen waren. Die Prophezeiung von As'kasha hatte sich erfüllt. Die Toten hatten Rache an den Lebenden genommen und die Stadt vernichtet. Nur wenige waren entkommen.
    Drei der Überlebenden hatten sich den Stämmen angeschlossen und zogen mit ihnen nach Süden.
    So weit der Schamane das beurteilen konnte, hatten sie sich gut eingelebt. Sogar die Sprache beherrschten sie mittlerweile - nun gut, abgesehen von einem Mann namens Pieroo, den der Schamane nicht verstand, egal welche Sprache er benutzte.
    Seine Gedanken kehrten zurück zur Wanderung der Stämme. Seit vielen Generationen folgten sie den Siil, im Winter nach Süden, im Sommer nach Norden. Als As'kasha eintrat, hatten die Götter ihm jedoch geraten, die Stämme nach Süden zu führen, hinaus aus dem ewigen Eis, in dem sie bisher gelebt hatten.
    Die Umstellung fiel niemandem leicht. Die Siiljäger fanden keine Beute mehr, die Eisfischer wussten nicht, wie man Boote baut, um auf dem offenen Meer zu fischen und in den ersten Nächten brachen die Zelte zusammen, weil die Haken in dem weichen Boden keinen Halt fanden.
    All diese Probleme hatten sie gelöst. Jetzt machte ihnen nur noch die Wärme zu schaffen, nicht nur weil die Nahrungsmittel schneller verdarben, sondern vor allem, weil manche Stammesmitglieder den traditionellen Kopfund Gesichtsschutz mittlerweile als unnütz empfanden und darauf verzichten wollten. Der Schamane wusste, dass er auch darauf bald eine Antwort finden musste.
    Er beendete seine Trance, verneigte sich vor den Göttern und rollte das Siilfell zusammen.
    »Guun Morn, Mulay«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Der Schamane drehte sich um und nickte Pieroo freundlich zu. Wie immer musste er raten, was der stark behaarte Hüne zu ihm sagte.
    »Auch dir einen guten Morgen, mein Freund«, antwortete er höflich. »Wie geht es deinem Weib heute?«
    Pieroo winkte ab. »Muss ha vil kotze morns, sons is guut.«
    »Sag ihr, dass ich später einmal zu eurem Zelt komme. Ich habe etwas, das ihr helfen wird.«
    »Jo.«
    Mulay stand auf und wandte sich ab. Nach der langen Trance knurrte sein Magen. Zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm, zu einem der Gemeinschaftsfeuer zu gehen, ein paar gebratenen Fische vom Rost zu nehmen und zu seinem Zelt zurückzukehren, ohne auf den nächsten Schritt der Reise angesprochen zu werden.
    Vielleicht macht sich außer mir wirklich niemand große Sorgen um die Zukunft, dachte er, doch dann bemerkte er Pieroo, der immer noch wartend am Gebetsplatz stand.
    »Entschuldige«, sagte Mulay zwischen zwei Bissen. »Ich dachte, unser Gespräch sei beendet. Was kann ich für dich tun?«
    Pieroo kratzte verlegen an seinem Vollbart, der fast sein gesamtes Gesicht bedeckte.
    »Nu«, begann er. »Is nischlimm, nu… hab hal ne Frag, de bissche schwiersch is.«
    »Du machst dir Gedanken darüber, wie es weitergehen soll, nicht wahr?«
    Pieroo nickte heftig. »Jo, is hal schwe zu sag'n, isch mein, soll ma odde soll ma nisch…«
    Mulay bedeutete ihm mit einer Geste, sich zu ihm vor das Zelt zu setzen und stellte die Holzschale mit den Fischen vor sich ab.
    »Das verstehe ich«, sagte er, während Pieroo nach einem Fisch griff und ihn mitsamt Kopf und Flossen in den Mund steckte. »Deshalb habe ich bereits vor Sonnenaufgang lange mit den Feuergöttern darüber gesprochen.«
    Sein Gegenüber sah ihn überrascht an. »Du has?«
    »Natürlich, eine solche Entscheidung kann ich nicht allein treffen.«
    »Nisch?«
    Mulay rülpste leise und wischte sich die Finger am Gras ab. Das Vertrauen, das die Stämme in ihn setzten, irritierte ihn immer wieder.
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