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038 - Der Geistervogel

038 - Der Geistervogel

Titel: 038 - Der Geistervogel
Autoren: James R. Burcette
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verfing sich in den Haaren und wirbelte sie umher.
    Das Mädchen war seit Stunden tot.
    Es war ermordet worden.
    Unzählige Wunden bedeckten den schlanken Körper.
    Wunden, die aussahen, als hätte ein Wahnsinniger mit einer Zange Fleischstücke aus dem Körper gerissen.
    Der Wind wurde zum Sturm, die ersten Regentropfen prasselten nieder. Einige Silbermöwen kreisten hoch am Himmel und stießen klagende Laute aus.
    Das Mädchen mußte einmal hübsch gewesensein, aber nun bot es ein Bild des Grauens. Das Genick war gebrochen der Kopf seltsam verdreht, die Augen weit auf gerissen, der Mund zu einem Schrei geöffnet. Ein junges Mädchen, das gern gelebt und viel gelacht hatte.
    Ein junges Ding, das einen fürchterlichen Tod gestorben war.
    Jan Hansen fühlte sich in der unförmigen Jacke unbehaglich. Er war es seit langem nicht mehr gewöhnt, solches Zeug zu tragen. Er warf Haike Petersen, die neben ihm ging, einen kurzen Blick zu. Sie war ähnlich wie er gekleidet. Die Jacke, die sie trug, war zu lang, zu groß für ihren schlanken Körper. Unwillkürlich mußte Jan lächeln.
    „Nicht gerade das ideale Wetter für einen Spaziergang“, sagte er und schaute übers Meer. Er blieb stehen und atmete tief ein. Als kleiner Bub war er hier oft gewesen, hatte sich gesetzt und auf die See geblickt und von fernen Ländern geträumt. Einmal war er in seiner Phantasie ein kühner Seeräuber gewesen, dann wieder ein Wikinger, der sich zur Entdeckung Amerikas auf den Weg machte. Später dann, als er die Romane Foresters gelesen hatte, gab es für ihn nur eines: er wollte so wie Hornblower sein.
    Jetzt war er vierundzwanzig und konnte über die Träume seiner Kindheit lächeln. Er war groß, fast zwei Meier lang, breitschultrig. Ein gutaussehender junger Mann, dessen Gesicht nichts Jungenhaftes mehr aufwies. Es war ein hartes Gesicht, mit einem kräftigen Mund, weit auseinander stehenden grauen Augen und einer Römernase. Sein Haar war dicht, dunkel-blond und ziemlich lang.
    Das Mädchen neben ihm wirkte wie eine Puppe. Sie reichte ihm kaum bis zu den Schultern. Das lange weißblonde Haar trug sie offen, es wehte wie ein dichter Schleier hinter ihr her. Sie war noch nicht achtzehn, verspielt wie ein junges Kätzchen, und sehr verliebt.
    „Scheußliches Wetter für Ostern“, sagte Jan und schlug den Kragen der Jacke hoch.
    Haike war das Wetter gleichgültig, sie war froh, daß Jan bei ihr war, alles andere zählte nicht.
    Sie setzten sich auf einen Felsbrocken, Haike kuschelte sich, so eng es ging, an Jan. Vor mehr als fünf Jahren war Jan von der kleinen Insel fortgezogen, er hatte Streit mit seinen Eltern gehabt. Und vergangene Weihnachten war er plötzlich wieder aufgetaucht, so überraschend, wie er seinerzeit verschwunden war.
    Als er damals fortging, war sie ein kleines Mädchen gewesen, dem er kaum Beachtung geschenkt hatte, obwohl sie ihn angehimmelt hatte. Er studierte in Hamburg Medizin und kam jetzt jedes Wochenende zu Besuch.
    Die ersten Tropfen fielen, und sie zogen die Kapuzen über.
    „Gehen wir zurück“, sagte Jan und stand auf. „Vielleicht wird es am Nachmittag schöner.“
    Er warf dem Himmel einen zweifelnden Blick zu und ging langsam voraus. Sie wanderten den Strand entlang. Der Sturm zerrte an ihren Jacken. Lachend ergriff er ihre Hand und zog sie mit, er mußte sich gegen den Sturm anstemmen, die Brandung rollte ungestüm heran und überschüttete sie mit Wasserfontänen.
    Plötzlich blieb Jan überrascht stehen.
    „Sieh mal“, sagte er. „Da liegt jemand!“
    „Das ist Ingrun!“ rief Haike entsetzt.
    Rasch liefen sie weiter. Jan kniete neben dem toten Mädchen nieder und blickte in das entstellte Gesicht. Es war tatsächlich Ingrun, eine von Haikes Freundinnen.
    „Schau nicht her“, sagte Jan und stand auf. Doch Haike konnte den Blick nicht von der Toten wenden. Alle Farbe war aus Haikes Gesicht verschwunden, Tränen rannen über ihre Wangen. Sie schluchzte. Jan legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie einige Schritte zur Seite.
    „Ist sie tot?“ fragte Haike und preßte das Gesicht gegen seine Schulter.
    „Ja“, sagte Jan. Er hatte schon eine einige Leichen gesehen, aber keine war darunter gewesen, die so wie Ingrun ausgesehen hatte. Er löste sich sanft von Haike und kehrte zur Toten zurück. Er untersuchte sie genau und Stand schließlich kopfschüttelnd auf. Er konnte sich die unzähligen tiefen Wunden nicht erklären, die der Körper der Toten aufwies. Es sah ganz so aus, als sei
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