0204 - Herr der Grünen Hölle

schon oft genug erschienen, wenngleich auch in den meisten Fällen nur der Schamane des Stammes mit ihm von Angesicht zu Angesicht verkehren durfte. Der Götze sorgte dafür, daß es dem Stamm gut ging und sie opferten ihm dafür das Leben ihrer Kriegsgefangenen.
    Der Dämon fraß die Seelen - aber die Leiber der Unglücklichen verspeisten seine Anbeter. Und die Köpfe wurden in der Tempelhütte, in der der Dämon residierte, aufbewahrt.
    Lomacs Stamm gehörte zu denen, die am Rio Negro Furcht und Schrecken verbreiten. Denn niemand, der den Kannibalen vom Schwarzen Fluß in die Hände fiel, konnte mit Schonung rechnen.
    Lomac sah immer noch dem silbrig glänzenden Etwas nach, das da der Sonne zustrebte. Awama-Loas Vogel würde im Strahlenfeuer seines Gebieters aufgehen.
    Oder etwa doch nicht. Deutlich, ja, ganz deutlich sah Lomac, daß der Silbervogel zu kreisen begann. Im weiten, ausholenden Spiralen zog er am Firmament, gekräuselte Wolkenlinien hinter sich lassend, die sich aufblähten wie die Gischt eines Wasserfalles.
    Und noch etwas bemerkte Lomac. Das Gefährt der Götter ging tiefer. Würde der Silbervogel etwa auf der Erde landen. War die Prophezeihung erfüllt, daß Quetztalcoatl, die Gefiederte Schlange, erneut zurückkehrte? Schon einmal hatte man dies geglaubt und an diesem Tag hatten die weißen Eroberer das Volk der Azteken vernichtet. Quetztalcoatl war also für Lomac eine böse Gottheit. Brachte sie nun wieder neue weiße Männer.
    Lomac würde weiter beobachten. Und wenn erneut die Menschen mit blassen Gesichtern auftauchten, würde man ihnen nicht mehr mit den Zeichen des Friedens entgegengehen.
    Der Rachegeist des Montezuma würde ihnen voran auf dem Pfade der Vergeltung schreiten. Und der Götze würde sich am Blute der Opfer wieder einmal satt trinken!
    Gebannt beobachtete Lomac das langsam niedergehende Flugzeug. Seine Rechte nestelte aus dem Haargürtel einen Dolch aus Knochen los.
    Der Dolch, beschnitzt aus dem Sprungknochen eines Jaguars, würde das Blut der weißen Götter trinken.
    ***
    »Da vorne, diese schnurgerade Lichtung!« Michael Ullich deutete auf das Gewirr des Urwaldes, »das ist sicherlich das Straßenprojekt der Regierung. Wenn wir überleben und uns da hinretten könnten…«
    »Stör mich nicht, ich suche einen Platz zum Wassern«, brummte Zamorra. »Hier wäre es günstig. Der Fluß ist mindestens zweihundert Meter breit und… aber halt. Das wäre Selbstmord!«
    Ullich sah nach vorne. Die zum Himmel steigende Gischt ließ ihn ahnen, was der Professor meinte. Von oben hatte er schon die Stromschnellen und den mindestens dreißig Meter hohen Wasserfall schon gesehen. Aber daß er so nahe war.
    Eine Landung hier war ein zu großes Wagnis. Sie mußten weiter zurück. Ob Zamorra die Maschine noch einmal hochreißen konnte?
    Die Tankanzeige glühte in strahlendstem Rot. Und war plötzlich erloschen. Schlagartig verstummten die Triebwerke. Die schwere Maschine segelte im Gleitflug, noch von der Wucht des Antriebs nach vorne geschoben, dem Fluß entgegen.
    Zamorra zerknirschte einen Fluch zwischen den Zähnen. Auf seiner Stirn zeigten sich dicke Schweißperlen. Jetzt galt es. Eine falsche Handbewegung und es war alles aus.
    Sein Leben und das der über hundert Passagiere an Bord der Boeing. Ob es ihnen gelang, dem Tod von der Schippe zu springen?
    Vorsichtig bediente seine rechte Hand die Steuerung und drückte die Maschine sanft herunter. Schon plätscherte das Wasser des Rio Negro um die ausgefahrenen Fahrwerke, als der Meister des Übersinnlichen dem Gefährt noch einmal eine Schwenkung gab.
    Nur wenige Meter trennten die linke Tragfläche noch von der Uferböschung. Wenn sie Glück hatten, kamen sie sogar trockenen Fußes an Land. Denn niemand konnte wissen, was die unergründliche Tiefe des Rio Negro bewohnte.
    Dann ein mächtiges Platschen, der gesamte Flugkörper war glatt aufgeschlagen. Einen Moment sah es so aus, als wenn er in den Fluten versinken würde. Aber das Glück war ihnen in diesem Moment hold. Das Flugzeug war so glatt aufgekommen, daß es als Hohlkörper schwamm.
    Zamorra öffnete den Mund zu einem befreienden Aufseufzen. Aus dem Innenraum jubelten die Passagiere, von ferne waren ihre Hoch-Rufe zu vernehmen.
    Da öffnete Michael Ullich ein Fenster.
    Das donnerartige Gebrüll des Wasserfalles vor ihnen ließ ihr Blut zu Eis erstarren.
    ***
    Mit staunenden Augen hatte Lomac mit angesehen, daß der Wundervogel von Awama-Loas wie eine Ente auf dem Wasser