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02 - Aus Liebe zu meiner Tochter

Titel: 02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Autoren: Betty Mahmoody
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ich seltsam. Wir saßen im Bus nach Ankara, als Mahtab merkte, daß die Kleidungsvorschriften in der Türkei nicht ganz so streng waren wie im Iran. Sie sagte: »Schau, da sind Frauen ohne Kopftuch. Du kannst dein Tuch jetzt auch abnehmen.« Aber ich weigerte mich, weil ich mein Haar schon mehrere Tage nicht mehr gewaschen oder gekämmt hatte. In 18 Monaten hatte ich nur eine Dauerwelle gehabt.
    Mein Haar war brünett und sorgfältig frisiert gewesen, als ich die Staaten verließ. Bei meiner Heimkehr war es lang, glatt und grau. John konnte sich kaum überwinden, mich anzusehen. »Mom«, sagte er nach unserer ersten Umarmung, »du siehst nicht aus wie Mom.«
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    Am zweiten Tag nach unserer Rückkehr brachte meine Schwester Carolyn, die Kosmetikberaterin bei Mary Kay ist, eine Kosmetikerin mit. Zusammen verpaßten sie mir eine Gesichtsbehandlung, schnitten mir das Haar, färbten es und legten es in eine Dauerwelle. Die Gesichtsbehandlung verjüngte mich um Jahre. Meine Haut war ausgetrocknet und saugte wie ein Schwamm alle Feuchtigkeit in sich auf. Hätten wir davor und danach Fotos gemacht, hätte Mary Kay sie für die Werbung verwenden können. Dad konnte Make-up nicht ausstehen. Er hatte uns Töchtern sogar verboten, uns zu schminken, solange wir in seinem Haus wohnten. Aber diesmal gefiel ihm das Resultat. »Das geht schon eher«, meinte er.
    Aber selbst als mein Haar in Ordnung war, kam ich mir draußen ohne Kopfbedeckung nackt vor. So lästig es mir im Iran gewesen war, den Kopf zu bedecken, so ungewohnt war es für mich nun in Michigan, dies nicht zu tun.
    Es war ganz normal geworden, Schal und Tschador zu tragen - so wie ein streng konformistisches Gesellschaftssystem es verlangte. Nur zu gut erinnerte ich mich an jene Zeit, als eine sichtbare Haarsträhne zwanzigminütige Tiraden der Pasdar provoziert hatte. Die Pasdar ist eine bewaffnete islamische Polizeieinheit, welche die Straßen von Teheran in weißen Nissan-Lieferwagen und Pakons abfährt. Wenn ich jetzt einen amerikanischen Polizisten sah - oder irgend jemanden in Uniform, sogar den Briefträger -, faßte ich mir unwillkürlich an die Stirn, als ob ich mein Gesicht verstecken wollte, und mein Herz klopfte wie wild. Es dauerte mindestens ein Jahr, bis ich diesen Reflex überwunden hatte.
    Auch Mahtab hatte ihre Alpträume. Die meisten Leute hätten das Flugzeug, das einige Wochen nach unserer Rückkehr im Tiefflug über unser Haus strich, gar nicht wahrgenommen. Aber in Mahtab weckte das harmlose Brummen Erinnerungen an die Schrecken irakischer Luftangriffe, bei 34
    denen unser mit Mörtel verputztes Reihenhaus bis in die Grundmauern erbebte und die Luft nach verbranntem Fleisch roch. Ich fand meine Tochter weinend und zitternd in einer Ecke des Wohnzimmers. Sie kam erst viele Minuten nachdem das Flugzeug verschwunden war, wieder aus ihrem Versteck.
    Dad kämpfte sich durch das Frühjahr. Dann wurde es Sommer. Er mußte noch mehr Operationen durchstehen und Schmerzen ertragen, wie ich sie niemandem wünsche. Einmal füllte sich seine Lunge mit Flüssigkeit. Sein Atem kam in röchelnden Zügen, und wir glaubten schon, er würde erstik-ken. Ein andermal lag er drei Tage im Koma. Als meine Schwester Carolyn und ich an Dads Krankenhausbett standen, öffnete er plötzlich die Augen.
    Er sah erholt aus. Seine Stimme klang so stark, wie ich sie seit meiner Abreise nicht mehr gehört hatte.
    Glücklich und zufrieden erzählte er uns eine Stunde lang, was er gesehen hatte: blauen Himmel und Sonnenschein, saftig-grüne Täler voller Blumen. Sein Zwillingsbruder, der vor sechs Jahren gestorben war, sei bei ihm gewesen. Dad lächelte, als er uns das erzählte.
    Die Ruhe, die von Dad, von seinem Geist und seiner Seele ausging, half uns, diese letzten Augenblicke tapfer zu ertragen. Wir trösteten uns mit der Hoffnung, daß Dad in Frieden sterben würde, und mit dem festen Glauben, daß sein Tod kein Ende war, sondern der Auftakt zum ewigen Leben.
    Bei der ersten Diagnose hatte man Dad sechs Monate bis drei Jahre gegeben. Er hatte sich nun durch vier Jahre gekämpft, und seine Hartnäckigkeit hatte uns kostbare Zeit miteinander geschenkt. Ich schlief jede Nacht auf einem Sofa neben seinem Bett und holte ihm ein Glas Wasser oder was immer er brauchte. Ich fragte mich, wie viele Nächte er wohl an meiner Wiege verbracht hatte, als unsere Rollen vertauscht waren.
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    Dad war der einzige in meiner Familie, mit dem ich offen reden konnte, aber für lange Gespräche war
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