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014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen

014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen

Titel: 014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen
Autoren: Edgar Wallace
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herein.
    »Höre, der Mann mit dem weißen Gesicht ist tot.«
    Ling Chu sah seinen Herrn ruhig an.
    »Alle Menschen sterben einmal!« sagte er mit gelassener Stimme. »Dieser Mann starb schnell, das ist besser als langsam sterben.«
    »Woher weißt du, daß er schnell gestorben ist?«
    »Man spricht über diese Dinge«, sagte Ling Chu, ohne zu zögern.
    »Aber die Leute sprechen hier nicht chinesisch«, erwiderte Tarling, »und du sprichst doch nicht englisch.«
    »Ich spreche doch ein wenig, Herr«, entgegnete Ling Chu, »und ich habe gehört, wie sich die Leute auf der Straße darüber unterhielten.«
    »Ling Chu«, sagte Tarling nach einer Pause, »dieser Mann kam nach Schanghai, während wir dort waren, und damals gab es einen großen Skandal. Einmal wurde er doch aus Wing Fus Teehaus hinausgeworfen, wo er Opium geraucht hatte. Es gab eine Aufregung seinetwegen -erinnerst du dich daran?«
    Der Chinese sah ihm gerade in die Augen.
    »Ich habe es vergessen«, antwortete er. »Dieser Mann war ein schlechter Mensch. Ich freue mich, daß er tot ist!«
    »Hm!« sagte Tarling und entließ Ling Chu mit einem kurzen Nicken.
    Dieser Chinese war der schlaueste aller seiner Spürhunde. Wenn er erst einmal auf eine Fährte gesetzt war, folgte er unweigerlich jedem Verbrecher. Dabei war er einer der anhänglichsten undtreuesten von Tarlings Dienern. Aber noch niemals hatte der Detektiv Ling Chus Gedanken so weit ergründet, daß er den Schleier hätte lüften können, mit dem die Eingeborenen ihre eigenen Gefühle und Gedanken verhüllen. Selbst einheimische Verbrecher waren erstaunt über Ling Chus Fähigkeiten, und mancher Mann war sich auf seinem Weg zum Schafott nicht klar darüber, wie es Ling Chu gelungen war, sein Verbrechen aufzudevken.
    Tarling ging zum Tisch zurück und nahm die Zeitung auf, aber kaum hatte er wieder zu lesen begonnen, als das Telefon läutete. Er nahm den Hörer ab und erkannte zu seinem Erstaunen die Stimme Cresswells, des Polizeioberinspektors, auf dessen Rat hin er nach England gekommen war.
    »Würden Sie so liebenswürdig sein und mich gleich in der Direktion aufsuchen? Ich möchte mit Ihnen über die Ermordung Lynes sprechen.«
    »Ich bin in einigen Minuten bei Ihnen«, erwiderte Tarling.
    Als er kurz darauf nach Scotland Yard kam, wurde er sofort in das Büro Cresswells geführt. Der weißhaarige Herr erhob sich und ging ihm mit einem befriedigten Lächeln entgegen.
    »Ich werde Sie mit der Aufklärung der Sache betrauen lassen, Tarling«, sagte er. »Es sind verschiedene Begleitumstände mit diesem Mord verbunden, die unsere hiesige Polizei nicht versteht, und es ist ja schließlich nicht ungewöhnlich, daß Scotland Yard auswärtige Hilfe zu Rate zieht, besonders wenn es sich um ein Verbrechen wie das vorliegende handelt. Die Tatsachen sind Ihnen ja bekannt.« Er öffnete eine dünne Aktenmappe.
    »Hier sind alle dienstlichen Berichte, Sie können sie durchlesen. Thornton Lyne war, um es gelinde auszudrücken, etwas exzentrisch veranlagt. Er hatte manche unliebsame Bekanntschaften, darunter auch einen ausgesprochenen Verbrecher, einen Sträfling, der erst vor einigen Tagen aus dem Gefängnis entlassen wurde.«
    »Das ist ja merkwürdig«, erwiderte Tarling und zog die Augenbrauen hoch. »Was hatte er mit diesem Mann zu tun?«
    Cresswell zuckte die Schultern.
    »Meiner Ansicht nach wollte er nur mit ihm renommieren. Er hatte es gern, wenn man über diesen außergewöhnlichen Fall sprach. Es gab ihm ein besonderes Ansehen bei seinen Freunden.«
    »Wer ist dieser Sträfling?«
    »Sam Stay, ein Dieb und Einbrecher, ein viel gefährlicherer Bursche, als die Polizeibehörde im allgemeinen annimmt.«
    »Glauben Sie denn, daß er -«, begann Tarling.
    »Wir können ihn sicher ruhig von der Liste der Leute streichen, die im Verdacht stehen, diesen Mord begangen zu haben. Sam Stay hat zwar wenig Eigenschaften, durch die er sich zu seinem Vorteil vor anderen auszeichnet, aber zweifellos war er Lyne sehr ergeben. Als der Detektiv, der die ersten Erkundigungen einzog, nach Lambeth ging, ihn zu verhören, fand er ihn der Länge nach auf seinem Bett liegen, neben sich eine Zeitung, mit dem Bericht über den Mord. Er war ganz außer sich vor Schmerz und drohte mit wilden Flüchen, daß er den Täter fassen würde. Lyne war in seinen Augen mehr als ein gewöhnlicher Mensch, und ich kann mir vorstellen, daß die einzige edle Regung in seinem Leben die Zuneigung zu diesem Mann war, der ihn gut behandelt
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