0132 - Der Todesnebel
nicht nehmen.
Drei Personen blieben zurück.
Harriet Hook, Bill Conolly und ich. Bill kümmerte sich um die Frau. Beruhigend sprach er auf sie ein, doch ihr Weinen war nicht mehr zu stoppen.
»Komm endlich!« drängte Bill.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich will noch mal zum Hafen runter.«
»Bist du verrückt?«
»Ich gehe ja nicht in den Nebel hinein.«
Bill schaute mich an, dann hob er die Schultern. Er nahm auch den Koffer mit.
Allein blieb ich auf der menschenleeren Straße zurück.
Es war still geworden nach all der Hektik der vergangenen Minuten. Und diese Stille lastete irgendwie schwer. Sie bedrückte mich.
Ich ging ein paar Schritte vor und hatte jetzt einen besseren Blick auf den Hafen.
Der Nebel kroch heran.
Unaufhörlich, wie eine gewaltige Walze, die alles niederpreßte, was sich ihr in den Weg stellte.
Ein grauenhafter Anblick. Selbst der Wind schien eingeschlafen zu sein, er hatte sich zurückgezogen, als würde er sich vor der gewaltigen Nebelwand fürchten.
Ich wischte mir über die Augen. Dann ging ich langsam weiter.
Mein Kreuz hatte ich vor die Brust gehängt. Ich hoffte, daß es mich schützen würde.
Dieser Nebel kam nicht von ungefähr. Er mußte tief im Verborgenen seinen Ursprung haben. Nur wo? Wer hatte ihn geschickt? Wirklich der Teufel oder einer seiner Diener? Bei der zweiten Möglichkeit kamen mehrere in Betracht, unter anderem auch Asmodina und Dr. Tod mit seiner Mordliga.
Ich wußte keine Antwort, hoffte jedoch, eine zu finden.
Vom Kirchplatz her wehten Stimmen zu mir herüber. Ich dachte an die zahlreichen Menschen, die sich in Gefahr befanden und sich deshalb in den Schutz des Gotteshauses begaben.
Würde es etwas nützen?
Scharf sog ich die Luft ein und drehte mich um, als ich in meinem Rücken hastige Schritte hörte.
Der Wirt aus dem Gasthaus hastete quer über die Straße. Der dicke Mann hatte seine Geldkassette unter den Arm gepreßt und brachte sich und den Mammon in Sicherheit.
Eigentlich bezeichnend für die Menschen von heute. Der Wirt machte da kein Ausnahme. Allerdings hatte er es so eilig, daß er stolperte und der Länge nach hinfiel. Die Kassette überstand den Schlag nicht, sie sprang auf, so daß Münzen und Scheine auf die Straße rollten.
Der Wirt schrie und raffte alles wieder zusammen. Dann rannte er weiter.
Auch ich ging.
Die Straße führte jetzt steiler bergab, ich schaute direkt auf den kleinen Hafen.
Was heißt Hafen?
Davon war kaum etwas zu sehen.
Der Nebel hatte sich so ausgebreitet, daß der kleine Hafen nur zu ahnen war. Auch die Masten der ankernden Schiffe sah ich nicht mehr, nicht mal als Schemen.
Mich interessierte vor allen Dingen, ob Menschen in der Nähe waren. Deshalb ging ich dem Nebel entgegen.
Ich hatte mich nicht getäuscht.
Weiter unten, schon dicht an den ersten Ausläufern des Nebels, flog plötzlich das obere Fenster eines kleinen Hauses auf. Im nächsten Augenblick erschien das Gesicht einer alten Frau. Sie beugte sich noch weiter vor, schaute auf den Nebel und schien in ihrer Haltung buchstäblich zu erstarren.
Ich brüllte. »Kommen Sie heraus!« Gleichzeitig begann ich zu rennen, und meine Füße kümmerten hart auf dem Kopfsteinpflaster. Die Geräusche wurden als Echos von den Hauswänden zurückgeworfen. »Beeilen Sie sich, schnell!«
Die Frau drehte den Kopf, sah mich und rief: »Ich kann nicht. Ich bin gelähmt!«
Verflixt.
Ich warf einen Blick nach vorn. Noch hatte ich eine kurze Galgenfrist, die ich unbedingt nutzen mußte. Ich rannte noch schneller.
Das Kreuz flog von einer Seite zur anderen, klatschte mir buchstäblich rechts und links gegen den Kopf.
Endlich hatte ich das Haus erreicht. Ich sah eine winzige Tür, die zum Glück nicht verschlossen war, stolperte über die hohe Schwelle und entdeckte eine steile Holztreppe, die nach oben führte, wo sich auch das Fenster befand, aus dem die Frau geschaut hatte.
Ich jagte die Stufen hoch. Meine Sätze waren wirklich zirkusreif.
Ich hörte das Rufen der alten Frau und wußte, wohin ich mich zu wenden hatte.
Nach links.
Zwei Schritte weiter stand die Tür eines Zimmers bis zum Anschlag hin offen.
Einen Atemzug später war ich im Raum. Die Frau hockte in einem Sessel vor dem offenen Fenster, durch das Kühle in den Raum drang. Sie schaute mir aus großen Augen entgegen. Über die Knie hatte sie eine Decke gelegt, das graue Haar war im Nacken zu einem Knoten gebunden.
»Der Nebel«, flüsterte sie. »Er wird uns fressen. Ich – ich
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