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0088 - Der Guru aus dem Totenreich

0088 - Der Guru aus dem Totenreich

Titel: 0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Autoren: Franc Helgath
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bei der nächsten Querstraße befahl der Hindu-Mönch anzuhalten. Verwundert gehorchte der Fahrer. Er drehte sich nach hinten, um zu fragen, was denn los sei.
    Und erstarrte.
    Hinter ihm saß nicht mehr der hohlwangige Guru. Zumindest hatte sich sein Aussehen auf eine schreckliche Art verändert. Anstelle des knochigen Asketenkopfs saß ein Echsenschädel mit spitz zulaufendem Schnabel. Noch ehe der Fahrer einen Angstschrei ausstoßen konnte, hatte sich eine klauenartige Hand auf seine Schulter gelegt, die ihn zum Verstummen brachte.
    »Bleib gelassen«, kam es zwingend aus dem Echsenschnabel, während Rayanagu wieder in diesen tiefen tranceartigen Zustand zurückverfallen war, in dem er seiner Umgebung entrückte.
    Die Krallenhand auf der Schulter des Fahrers erstrahlte sekundenlang von einem inneren Feuer erhellt auf. Danach verhielt sich der bartlose Sikh, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ein Dämonenwesen durch New Delhi zu fahren. Willig folgte er allen Weisungen, die der Dämonensadhu ihm gab.
    Er ließ das Wesen und seinen Begleiter vor der Einfahrt zum Gelände des Oberoi Interconti aussteigen und sah nicht mehr, wie sie in einer Buschgruppe verschwanden.
    Der Taxifahrer durfte die Postenkette passieren. Er hatte die Erlaubnis dazu und reihte sich ein in die Schlange der anderen wartenden Taxis, die weiße Gäste zu irgendwelchen Zielen der Stadt bringen wollten.
    Sadhu Shandri und Rayanagu jedoch verschmolzen mit der Dunkelheit nachtschwarzer Sträucher und schlichen zur Ausfahrt, durch die »ihr« Taxi wieder kommen mußte.
    Es war das fünfte.
    Der zum Halbdämon gewordene heilige Mann sprang vor den Kotflügel. Der Wagen hielt mit kreischenden Bremsen an. Shandri war gar nicht mehr ungeschickt, als er diesmal den Wagenschlag aufriß und sich neben einen völlig entgeisterten Engländer setzte, ihn in die Ecke drängte, während Rayanagu vorne einstieg.
    Der Europäer wollte schreien, doch als der Sadhu ihm die Hand auf die Brust legte, lastete plötzlich ein Alpdruck auf ihm, der ihm sämtliche Luft aus den Lungen preßte. Er brachte nur ein hilfloses Röcheln hervor. Angstschweiß perlte auf der Stirn des Mannes.
    »Rama Krishna Puram«, gab der Sadhu mit einem Echsenschädel jetzt als neues Ziel an. Es war eine Verbrennungsstätte von Leichen. Die größte von New Delhi.
    Der Wagen setzte sich in Bewegung. Die Lampen an den Straßen standen in immer größeren Abständen, bis schließlich nur noch die Talglichter aus den Wellblech- und Papphütten an den Straßenrändern die Bürgersteige kaum erhellten.
    Sie durchquerten das Slumviertel von Sarojini Nagar und befanden sich dann fast übergangslos in den Außenbezirken der Stadt. Aus der Ferne leuchteten die Feuer der Scheiterhaufen. Dunkle Qualmwolken stiegen Tag und Nacht über ihnen auf.
    Der Datsun überholte einen Lastwagen mit Leichen der Ärmsten, die von der Stadtverwaltung beseitigt werden mußten. Dafür gruben Schaufelbagger Massengräber. Man warf die namenlosen Toten hinein, überstreute sie mit Desinfektionsmitteln und schob die Erde wieder drüber.
    Das Gelände war nicht eingezäunt.
    »Halt«, sagte Shandri mit dem Echsenkopf, und der Fahrer gehorchte.
    Der Dämonenguru scheute das Licht der Scheiterhaufen. Mit unmenschlicher Kraft schleifte er den bewußtlos gewordenen Weißen, der mindestens viermal so schwer war wie er selbst, hinter sich her. Der Fahrer blieb im Auto sitzen, schaute stur nach vorne aus der Windschutzscheibe. Der Halbdämon erlaubte es ihm nicht zu sehen, was um ihn herum vorging. Er würde sich schon bald an nichts mehr erinnern können.
    Der ehemalige heilige Mann ließ seine Last fallen und kehrte zum Wagen zurück.
    »Du kannst fahren«, sagte er durch das geöffnete Fenster. »Dein Geist sei frei von quälenden Erinnerungen. Doch morgen wirst du mich an derselben Stelle erwarten.«
    Der Sikh nickte und legte den Gang ein. Kurz darauf hatte er gewendet, und die Rücklichter verloren sich in Richtung Nagar-Slums. Der Lastwagen mit den Toten holperte auf das Gelände. Die Lichtfinger der Scheinwerfer ertasteten Sadhu Shandri voll, und er wandte sich schnell ab. Sein Kopf war immer noch der des Adepten Rudravins, des vergessenen Halbgottes. Der Lastwagen ratterte vorbei.
    Shandri packte den Bewußtlosen wieder. Ein scharfer Befehl, und Rayanagu half ihm dabei.
    Sie zerrten den Weißen über heruntergebrannte Aschenhaufen hinweg in die finsterste Ecke des Geländes. Dort richteten sie den Körper des
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