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0088 - Der Guru aus dem Totenreich

0088 - Der Guru aus dem Totenreich

Titel: 0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Autoren: Franc Helgath
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über dem spitz hervorstechenden Brustbein auslief. Darunter wölbten sich die Rippenbögen, von einer ledrigen Haut umspannt.
    Der Sadhu sah aus, als hätte man ihm die Haut über das Skelett gezogen. Die Haut, die jetzt von innen heraus grünlich zu schimmern schien.
    Demütig hatte er den Nacken gebeugt. Die Hände vor der Stirn gefaltet saß er da.
    Aus den wallenden farbigen Nebeln war ein Gebilde geworden, das fast den ganzen Raum ausfüllte. Halb Mensch, halb Drache starrte das Wesen mit brennenden Augen auf Sadhu Shandri herunter. Oberkörper und Beine waren die eines muskulösen Mannes und glänzten golden wie der Bauch einer Wespe. Um die Taille war ein mit funkelnden Edelsteinen besetzter Dhoti, ein Lendenschurz, geschlungen, wie ihn auch der heilige Mann und sein Diener trugen. Nur daß ihre Dhotis verschmutzt und zerrissen waren.
    Aus dem Hals des Wesens wuchs ein Drachenkopf, der vorne zu einem spitzen schwarzen Schnabel zulief, aus dem eine hellrote Zunge schlängelte. Darüber leuchteten bernsteingelbe Augen.
    In der einen Hand hielt der Dämon einen geschwungenen Bogen, in der anderen einen Köcher mit seltsam anmutenden Pfeilen. Ihre Spitzen hatten ebenfalls die Form eines Flugechsenschnabels. Aus dem Rücken des Wesens wuchsen breitgefächerte Flügel ähnlich denen einer Fledermaus. Sie glänzten wie schwarzes Pergament und endeten in furchtbaren Krallenpaaren, die einen Menschenkörper mit einem Hieb zerfleischen konnten.
    Der Schnabel klappte auf und zu. Die Hand mit dem Bogen zog einen der Pfeile aus dem Köcher, legte ihn auf die Sehne, spannte sie. Die Spitze zeigte genau auf das Herz des Gurus.
    Sirrend verließ der Pfeil die Sehne, bohrte sich in die ausgemergelte Brust des Hindu-Mönches. Er war lang genug, um am Rücken wieder herausragen zu müssen, doch der Pfeil verschwand völlig im Körper. Die Stelle, an der er eingetreten war, ließ keine sichtbare Verwundung erkennen. Nur ein brandrotes Mal blieb. Es hatte die Form eines Echsenkopfes.
    Der Shadu saß unverändert, lauschte einer inneren Stimme, die nicht mehr die eigene war. Sadhu Shandri war ein anderer geworden. Er nickte nur immer wieder.
    Und als das Spukgebilde verschwand, wiederholte er immer wieder: »Ja, Rudrasvin. Ich werde töten. Ich werde dreimal für dich töten. Komm ganz zurück in diese Welt, Rudrasvin. Komm für immer zurück…«
    Das Trommeln wurde leiser und verstummte schließlich. Die Rollen aus Bambusfasern, die zu den Knien des Gurus lagen, glühten kurz auf. Dann eine lautlose Explosion, und von den Steinplatten stieg eine weiße Qualmwolke auf. Als sie verzogen war, waren die vedas verschwunden. Nicht mal ein Häufchen Asche blieb davon.
    Minutenlang blieb der Sadhu in Trance versunken sitzen. Rayanagus Armstrünke sanken auf die Trommel hinab, doch sie bearbeiteten das Fell nicht mehr. Plötzlich begann das Öllämpchen wieder zu brennen. Der Schatten der beiden Männer geisterte zuckend über die kahlen Wände, die aus in der Sonne getrockneten Lehmziegeln aufgeschichtet waren. Ein beißender Geruch blieb zurück im Kellergewölbe.
    Der Puls des heiligen Mannes, der die letzten Sekunden über gerast war, beruhigte sich allmählich. Rayanagus Blick kam aus den Fernen zurück und nahm das Geschehen wieder auf. Sein Mund stammelte Unverständliches. Als sein Guru sich aus dem Lotos-Sitz erhob, folgte er seinem Beispiel. Hinter seinem Meister stieg er eine schmale Holzleiter hoch, die ins Erdgeschoß führte.
    Sie tauchten in den rückwärtigen Raum einer Teestube. Bis auf einige Bambusmatten war der Raum leer. Sorgfältig verriegelte der Sadhu die Falltür wieder, nachdem er dem Krüppel Rayanagu aus der schmalen Öffnung geholfen hatte.
    »Wir haben zu tun, Rayanagu«, sagte der heilige Mann mit brüchiger Stimme.
    Sein Diener nickte und verbeugte sich.
    Kurz darauf verschluckte sie das exotische Gewirr auf der lärmdurchfluteten Straße. Sie wandten sich nach Süden. Frauen in bunten Saris und Männer in weißen Umhängen wichen dem heiligen Mann ehrerbietig aus. Rikscha-Fahrer schlugen einen weiten Bogen mit ihren abenteuerlichen Gefährten.
    ***
    Shandri war unterwegs, das zu tun, was ihm geheißen worden war. Er ließ die ummauerte Altstadt durch das Delhi Gate hinter sich, ging dann durch die Mir Dard Road, um auf den Connaught Place zu stoßen. Über den Häusern rund um den kreisförmigen Platz zuckten die Lichtreklamen hauptsächlich amerikanischer und japanischer Multis. Hier traf man auch auf
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