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0088 - Der Guru aus dem Totenreich

0088 - Der Guru aus dem Totenreich

Titel: 0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Autoren: Franc Helgath
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Leben hatte der Drachenköpfige von ihm gefordert. Zwei hatte er bereits bekommen.
    Sadhu Shandri sank vor dem Gefesselten auf den ascheübersäten Boden und beugte sein Haupt. Er murmelte die Mantras, die die Metamorphose einleiten sollten, seine Umwandlung in ein Geschöpf von Rudrasvin.
    Sadhu Shandri dachte nicht mehr richtig. Seit jener Nacht in einem Kellerraum unter der Altstadt war eine Veränderung mit ihm vorgegangen. Die Tage verbrachte er in apathischem Herumsitzen. Rayanagu machte sich große Sorgen um seinen Guru, wenn er nicht in diesen tranceartigen Zustand verfallen war, nach dem er sich nie erinnern konnte, was eigentlich mit ihm geschehen war.
    Und Rayanagu konnte nicht fragen. Er stammelte nur verwirrt vor sich hin und mußte zusehen, wie sein abgemagerter Meister immer weniger wurde. Seit einer Woche hatte Sadhu Shandri keine Nahrung mehr zu sich genommen und auch die feinsten Leckerbissen abgelehnt, die Rayanagu von Freunden erhalten hatte.
    In dieser Stunde wurde Rayanagu wieder sorgenfrei. Flatternd schlossen sich seine Augenlider, versank sein Denken in einem Meer aus nichts. Trugbilder gaukelten ihm herrliche Landschaften vor. Uferbilder am Ganges bei Benares, die Scheiterhaufen jener Glücklichen, die an diesem heiligen Ort sterben durften, um dann ohne weitere Wiedergeburten direkt ins Nirwana einzugehen.
    Rayanagus Kinn war an die dürre Brust gesunken. Sein entstelltes Gesicht lächelte im Schlaf. Er spürte den Sturm nicht, der an seinen mageren Schultern zu rütteln begann, der ihn einhüllte in dunkle Aschewolken.
    Er sah nicht, wie Shandris Züge sich im Schmerz verzerrten, als sein Kopf die Form veränderte, sich mit einem rabenschwarzen Feder- und Haarkleid bedeckte, aus dem ein häßlicher Schnabel wuchs. Die Haut wurde grünlich, Wolkenfetzen jagten über den Himmel.
    Der Sturm fuhr in die weit entfernten Feuer, jagte die Funken weit hinauf in den Nachthimmel und trug sie mit sich fort. Einige in Lumpen gehüllte Gestalten rafften ihre durchlöcherten Umhänge und verließen den weiträumigen Platz, denn es war nicht gut, hier zu sein, wenn die Götter zürnten.
    Gott Indra machte sich auf, Blitze auf das Land herabzuschleudern und die Stadt unter berstendem Donner erzittern zu lassen. Bald prasselten Regentropfen dick herab, und die fliehenden Menschen riefen laut Gebete, weil die Zeit des Monsuns noch weit war. Den ganzen Tag über hatte nicht eine einzige Wolke am Himmel gestanden.
    Jetzt rasten sie wie dunkle Ballen dahin und verdeckten den Mond.
    Die alten Götter waren ihnen nicht wohlgesonnen.
    Dann brach das Unwetter mit brachialer Gewalt über die Südstadt und ihre Slums herein. In Sekunden verwandelte sich der Verbrennungsplatz am Rama Krishna Puram in eine grundlose Schlammpfütze.
    Der Dämonenguru versank bis zur Hälfte seiner Oberschenkel im Dreck, sein gebundenes Opfer wand sich in den Stricken. Der harte Wasserstrahl des Regengusses hatte Graham Beckels Bewußtsein zurück in seinen geschundenen, ausgedörrten Körper getrommelt.
    Der Amerikaner schrie, doch gegen das Dröhnen der Donnerschläge schrie er vergeblich an.
    Die Augen weit aufgerissen starrte er auf den verwandelten Dämonenguru. Sein Geist weigerte sich zu glauben, was seine Augen erblickten. Sein Mund stand offen, und es regnete hinein.
    Sadhu Shandri, ein Bild des Schreckens, hatte den Kopf stolz erhoben, trotzte dem Sturm, dem Regen und den Blitzen, die seine Konturen mit grellweißem Licht übergossen. Der Schnabel klappte auf und zu, die lange rote Zunge schnellte vor und zurück. Krächzend stieß er immer weitere Formeln aus.
    Sekunden wurden zu Minuten. Die Feuer waren verlöscht. Dampfschwaden zogen über den Platz, wurden vom Orkan zerrissen und zerfetzt. Reisig wurde zu Peitschen, die über den Ort der Toten rasten. Sadhu Shandri zuckte nicht einmal, als eines dieser Holzstücke ihm blutige Striemen in den ausgemergelten Rücken schlug.
    Dann teilten sich die Wolken für einen kurzen Augenblick. Silbrig fiel ein Mondstrahl herab auf Sadhu Shandri. Und wie die Gondel einer Seilbahn glitt ein riesiger, drachenförmiger Schatten daran herunter zur Erde. Er war ungleich größer als noch vor einer Woche.
    Rudrasvin…
    Jetzt senkte der Dämonenguru sein Echsenhaupt. Demütig. Die Arme kreuzte er vor der Brust, um die Botschaft zu empfangen.
    »Sadhu Shandri«, dröhnte es in seinem Inneren. Die Stimme in seinem Gehirn war so laut, daß der mißbrauchte Guru spitz aufschrie. Er hatte Angst,
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