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0053 - Die Geisterhand

0053 - Die Geisterhand

Titel: 0053 - Die Geisterhand
Autoren: Jason Dark
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Freunde«, sagte Scaramanga, »Ihr Beifall ist für mich die Kraft des Lebens. Aber irgendwann muß auch ich mich erholen. Und so etwas geschieht in der Pause. Gönnen Sie mir diese Viertelstunde bitte, damit ich hinterher für Sie, für Sie und auch für Sie besser und noch schöner spiele.«
    Bei jedem für Sie schaute er eine Dame an, und unter seinem Blick schmolzen die Herzen der meist betuchten Ladys. Es hatte schon etwas Verruchtes an sich, für einen Mann wie ihn zu schwärmen. Die Monotonie des Alltags wurde aufgelockert, ein Hauch von Sünde und Verworfenheit schlich sich in das oft langweilige Dasein ein. Man hatte hinter vorgehaltener Hand etwas zu tuscheln. Freundinnen und Bekannte wurden neugierig, man wurde selbst wieder interessanter. – Es hatte etwas für sich, mal aus dem Alltagsleben auszubrechen.
    So dachte auch Lydia Linkerton, Gattin eines schwerreichen Importkaufmanns. Sie war allein zur Vorstellung gekommen. Ihr Mann hatte geschäftlich in Paris zu tun und würde den Abend sicherlich auf seine Weise verbringen.
    Das hieß: Champagner, Wein und junge Mädchen.
    Lydia hatte sich daran gewöhnt. Sie ging ihren Weg. Und der führte zu Antonio Scaramanga.
    Noch einen Vorteil besaß sie. Sie war finanziell völlig unabhängig. Sie selbst hatte ein beträchtliches Vermögen mit in die Ehe gebracht, von dessen Zinsen sie leben konnte.
    Ihr Hobby war Antonio Scaramanga!
    Sie besuchte, wenn es eben ging, jedes seiner Konzerte. Ihr Mann hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Durch seinen Kopf schwirrten andere Dinge.
    Die meisten Zuschauer hatten sich wieder gesetzt. Einige verschwanden auch durch eine Seitentür. Ein Theaterfoyer gab es zwar, aber es wurde nicht genutzt. Nicht für Empfänge, nicht für Ausstellungen und auch nicht für irgendwelche Treffen.
    Mäntel und Jacken hingen an den Garderobehaken. Frauen, die auf die Kleidung achteten, gab es nicht. Alles wirkte trostlos und verstaubt, wie ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert.
    Niemand achtete auf die knapp vierzigjährige schlanke Frau, die durch das Foyer schritt, sich nicht nach rechts oder links umsah und auf eine schmale Tür zuging.
    Vor der Tür schaute sich die Lydia Linkerton noch einmal um und verschwand dann.
    Sie fröstelte in ihrem langen, blutroten und tief ausgeschnittenen Kleid, als sie den engen Gang hinter der Tür betrat. Die Notbeleuchtung verbreitete einen schwachen grünlichen Schimmer und ließ die Haut der Frau geisterhaft fahl aussehen.
    Vor ihr lag eine Wendeltreppe.
    Lydia Linkerton schritt die Stufen hoch und zuckte jedesmal zusammen, wenn sie das Echo ihrer eigenen Schritte hörte. Obwohl man sie erwartete, hatte sie Angst, irgend jemand könnte sie hören. Und sie bemühte sich, leise zu sein.
    Die Treppe mündete in den Gang, der zu den Garderoben führte. Der Meister hatte ihr erklärt, wo seine Garderobe lag, trotzdem schaute sich die Frau vorsichtig um, als sie den Gang entlangschritt.
    Ein Adrenalinstoß jagte durch ihren Körper, als sie vor der Tür stehenblieb. Sie bekam eine Gänsehaut.
    Jetzt war es soweit.
    Tief atmete sie ein.
    Sie hob die Hand und krümmte den Zeigefinger. Plötzlich perlte Schweiß auf ihrer Stirn. Die Gedanken überschlugen sich. War das, was sie tat, überhaupt richtig? Begab sie sich nicht in eine große Gefahr, wenn sie jetzt zu ihm hineinging?
    Aber er hatte sie gerufen. Er wollte, daß sie kam.
    Sie klopfte dreimal, das war das Zeichen.
    »Ja?« Die tiefe sonore Stimme des Pianisten jagte ihr jetzt schon einen Schauer über den Rücken. Ohne daß sie es beeinflussen konnte, bildeten sich hektische, rote Flecken auf ihrer Wange.
    Sie trat ein.
    Der Meister saß vor dem Schminkspiegel. Er führte ein Glas mit Wasser zum Mund und wandte sich erst um, nachdem er das Glas abgestellt und Lydia die Tür geschlossen hatte.
    Er schaute sie an.
    Sie senkte den Blick.
    Antonio Scaramanga lächelte und stand auf.
    »Da bin ich«, flüsterte sie.
    Der Meister trat auf Lydia zu, nahm ihre rechte Hand und küßte sie. Ein Schauer durchlief die Frau. Sie kam sich unter seinem zwingenden Blick nackt und bloß vor. Ihre Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen. Ein matter Schweißfilm lag auf ihrem Hals.
    »Haben Sie alles?« fragte er.
    »Ja.«
    »Dann nehmen Sie Platz.« Er wies auf einen kleinen mit Kunstfell bespannten Hocker.
    Die Frau setzte sich.
    Auch der Meister nahm Platz. Er lächelte weiter, und die Frau senkte den Blick. Mit zitternden Fingern öffnete sie
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