Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0026 - Die Braut des Henkers

0026 - Die Braut des Henkers

Titel: 0026 - Die Braut des Henkers
Autoren: Michael Kubiak
Vom Netzwerk:
Satan besessen. Viele hatten es schon erleben müssen. Für sie war der Henker das Letzte, was sie auf dieser Erde noch zu Gesicht bekommen hatten. Und alle, ja, alle, die hier standen, verfluchten diesen unseligen Geist. Er brachte den Schrecken über sie.
    Nur jetzt in diesem Moment hatten sie diese Angst völlig vergessen. Hatten sie verdrängt in die hintersten Winkel ihrer Gedanken.
    Jetzt war er für die Bürger von Coryhead ein willkommener Anblick. Jetzt jubelten sie ihm zu.
    »Der Henker! Seht doch, der Henker ist schon da! Bald ist es soweit! Bald muss die Hexe brennen! Vielleicht rettet sie der Satan vor dem Tode! Wenn nicht, dann hat sie sogar der Leibhaftige verlassen! Hahaha! Los Henker, wirf die Fackel!«
    Wie in Trance wankte die vermummte männliche Gestalt in den Kreis. Es war, als würde er sich gegen etwas wehren wollen. Man konnte annehmen, er schreckte vor dem Anblick, der sich ihm bot, zurück. Doch er setzte seinen Weg fort.
    In der Hand trug er eine Pechfackel, die er nun entzündete. Die Flammen züngelten hoch, gaben dem Kopf mit der Kapuze ein gespenstisches Aussehen. Der Flammenschein brach sich in den Augen, die durch die Schlitze der Kapuze starrten.
    Unbeweglich, gnadenlos, grausam.
    Alle hatten Angst vor dem Henker. Niemand kannte ihn. Er ließ die Menschen in den umliegenden Dörfern zittern.
    Nur in diesem Moment war aus der Angst Freude geworden.
    »Los, Henker! Walte deines Amtes! Schick die Hexe zur Hölle, dorthin, wo sie zu Hause ist! Nie mehr soll sie uns Schlimmes antun! Nie mehr soll sie uns mit ihrem bösen Blick bannen! Sie soll brennen!«
    Als wäre das der Befehl für den Henker gewesen, hob er die Fackel hoch und warf sie im hohen Bogen in das trockene Geäst und den Pfahl.
    »Im Namen des Herrn – Stirb, Hexe!«
    Dumpf hallte der Ruf über den Dorfplatz. Augenblicklich stimmten die Umstehenden mit ein.
    »Stirb, Hexe! Stirb!«
    Das Hassgeschrei steigerte sich zu einem infernalischen Lärm. Das Mädchen auf dem Scheiterhaufen riss den Mund auf, schrie seinen Schmerz hinaus in die Trostlosigkeit der Landschaft. Ihr Hilferuf verhallte ungehört. Niemand konnte sie mehr erlösen.
    Schon leckten die Flammen über ihre Füße. Krampfhaft versuchte sie, diese wegzuziehen, in Sicherheit zu bringen, sie vor der Hitze des Feuers zu schützen.
    Vergebens. Sie schaffte es nicht. Man hatte sie zu gut gefesselt.
    Nur ihren Kopf konnte sie bewegen. Sie warf ihn hin und her. Flehend irrte ihr Blick über die Köpfe der in ihrer Wut Wahnsinnigen.
    Kein mitfühlendes Gesicht wandte sich ihr zu. Kein Trost stand in den Augen, die sie anstarrten.
    »Hexe! Hexe! Hexe!«
    Immer wieder brandete der Wutschrei auf. Wurde rhythmisch wiederholt, formte sich zu einer Melodie des Grauens, die die Leute in einen wahnwitzigen Tanz fallen ließ. Die Menschen fassten sich an den Händen und drehten sich in einem weiten Kreis um den Scheiterhaufen, dessen Flammen schon das Mädchen vollständig erfasst hatten.
    Sie konnte nicht mehr schreien. Eine Ohnmacht hatte sie erlöst.
    Schlaff hing sie in den Stricken. Als diese durchgekohlt waren, sank ihr Körper herunter. Funken wirbelten auf, und die Flammen verrichteten ihr gnadenloses Werk.
    Im gleichen Maße wie das Feuer verflackerte und kleiner wurde, so verstummte auch nach und nach der Gesang. Schließlich blieben die Tanzenden stehen. Stumpf blickten sie in die Flammen. Und in die Augen stahl sich ein Erkennen, ein Begreifen der schrecklichen Tat, die sie begangen hatten.
    Sie schauderten. Sie wussten nicht, wie ihnen geschehen war, fanden keine Erklärung für das Unsagbare.
    Der Henker, der die ganze Zeit starr dagestanden hatte, setzte sich wieder in Bewegung. Er ging in die Richtung, aus der er gekommen war. Scheu wichen die Leute vor ihm zurück. Schweigend machten sie ihm Platz. Schon bald war er zwischen den Häusern verschwunden.
    Allmählich kehrte auch in die Schaulustigen das Leben zurück.
    Sorgsam vermieden sie es, sich in die Augen zu schauen. Es war, als hätte jeder Angst vor den Blicken des anderen.
    Eilig verließen sie den Dorfplatz, begaben sich in ihre Häuser und verriegelten Türen und Fenster. Wer die Eindrücke des Erlebten nicht ertragen konnte, griff zum Schnapskrug und versuchte, dort sein Vergessen zu finden.
    Nur einer blieb von all dem unberührt. Der hagere, hoch gewachsene Mann. Er grinste bösartig, kratzte seine Geiernase. Dann nickte er zufrieden. Er warf noch einen letzten Blick auf den Scheiterhaufen, dessen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher