Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
schwerer zu ertragen als der kurze Schmerz und die Angst vor dem Unbekannten, die den eigenen Tod begleiten.
    Die Furcht, Rya zu verlieren, war beim Weg durch die Minen meine stärkste Antriebskraft. Wäre es mir nur um das eigene Überleben gegangen, hätte ich viel eher aufgegeben, hätte ich vielleicht von Anfang an nicht die Energie aufgebracht loszugehen. In den nächsten Stunden spürte ich weder Schmerzen noch Erschöpfung. Trotz des seelischen Aufruhrs, in dem ich mich befand, war mein Körper ein kühler Roboter, der sich unermüdlich vorwärtsbewegte, manchmal wie gut gewartet, manchmal ruckartig und mühsam, aber stets ohne zu klagen. Ich trug Rya auf meinen Armen wie ein kleines Kind, und sie schien weniger zu wiegen als eine Puppe.
    Als ich an einen vertikalen Schacht kam, zerbrach ich mir nicht lange den Kopf darüber, wie ich sie hinaufbringen sollte. Ich riß einfach unsere Skijacken in Streifen. Das hört sich einfach an, erforderte bei dem stabilen, wetterfesten Material aber im Grunde einen enormen Kraftaufwand — nur daß mir dies überhaupt nicht bewußt wurde. Ich knotete die Streifen zusammen und stellte einen stabilen Tragegurt her, der unter ihren Armen und unter ihrem Becken durchführte und an dem ich einen zweiten befestigte, den ich über meiner Brust kreuzte. Als ich den Schacht dann hochkletterte und sie mit mir zog, achtete ich sogar noch darauf, daß sie nirgends mit dem Kopf anschlug. Rückblickend ist es mir völlig unverständlich, wie ich das schaffte, aber damals fiel es mir überhaupt nicht schwer.
    Wir hatten für den Hinweg sieben Stunden benötigt, aber da waren wir beide völlig fit gewesen. Ich rechnete damit, daß ich jetzt einen Tag oder länger brauchen würde, vielleicht sogar zwei Tage.
    Wir hatten nichts zu essen, aber das war nicht schlimm. Wir konnten einen oder zwei Tage ohne Essen leben.
    Ich verschwendete keinen Gedanken darauf, wie ich bei Kräften bleiben wollte, ohne etwas zu essen. Diese Sorglosigkeit rührte nicht davon her, daß ich überzeugt gewesen wäre, mein Adrenalinspiegel würde wie durch ein Wunder konstant bleiben. Nein, ich konnte einfach an nichts Derartiges denken, denn mein Geist war mit ganz anderen Dingen beschäftigt — Angst, Liebe — und konnte sich nicht auch noch um praktische Dinge kümmern. Dafür war der Roboter-Körper zuständig, der seinen Pflichten nachkam, ohne überlegen zu müssen.
    Woran ich dann allerdings doch dachte, war Wasser, denn der Körper kann ohne Flüssigkeit nicht so lange auskommen wie ohne Nahrung. Wasser ist das Öl der Maschine Mensch. Die Thermosflasche mit Orangensaft war Rya entfallen, als der Troll sie angesprungen hatte, und später hatte ich durch Schütteln festgestellt, daß sie zerbrochen war. jetzt konnten wir nur noch das Wasser aus den Pfützen trinken. Es war mit Schaum bedeckt und schmeckte vermutlich nach Kohle, Schimmel und Schlimmerem, aber mein Geschmackssinn war genauso ausgeschaltet wie mein Schmerzempfinden. Von Zeit zu Zeit legte ich Rya behutsam ab, schöpfte mit beiden Händen Wasser aus einer Pfütze und trank es. Danach hob ich Ryas Oberkörper an, öffnete ihren Mund und ließ Wasser aus meiner gewölbten Hand in ihren Mund tropfen. Sie bewegte sich nicht, aber es ermutigte mich zu sehen, daß ihre Halsmuskeln sich zusammenzogen und entspannten, wenn sie gezwungenermaßen schluckte.
    Ein Wunder ist normalerweise ein sehr kurzes Ereignis: ein flüchtiger Blick auf Gott, manifestiert in irgendeinem Aspekt der physischen Welt, einige Tropfen Blut aus den Stigmen einer Christusstatue, einige Tränen aus den gemalten Augen einer Ikone der Jungfrau Maria, das Sonnenwunder von Fatima. Mein Wunder — die Kraft, die mich vorantrieb — hielt stundenlang an, aber ewig konnte es natürlich nicht dauern. Ich erinnerte mich, auf die Knie gefallen, aufgestanden, weitergegangen und wieder gestürzt zu sein, wobei ich Rya um ein Haar fallengelassen hätte. Daraufhin beschloß ich, schon um ihretwegen ein wenig auszuruhen, neue Kräfte zu sammeln — und dann schlief ich ein.
     
    Als ich erwachte, hatte ich Fieber.
    Und Rya war so regungslos und still wie zuvor.
    Sie atmete noch. Ihr Herz schlug noch, obwohl ich das Gefühl hatte, als wäre ihr Puls schwächer geworden.
    Ich hatte vergessen, vor dem Einschlafen die Taschenlampe auszuschalten, und nun brannte sie nur noch ganz schwach.
    Ich verfluchte meine Dummheit und holte die zweite Taschenlampe aus meiner Tasche.
    Auf meiner Uhr war es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher