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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Steuererhöhungen, sondern treten sogar mit dem in meinen Augen völlig illusionsgeladenen Versprechen von Steuersenkungen auf. Und deshalb fürchte ich, dass die Auseinandersetzungen bei unterschiedlichen Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus noch sehr viel heftiger und aggressiver werden könnten und die politische Atmosphäre insgesamt noch vergifteter. Obama hat Kompromisse machen müssen, um mit der Anhebung der Schuldengrenze von derzeit 14,3 Billionen US-Dollar die Zahlungsunfähigkeit der USA mit desaströsen Folgen zu verhindern, und doch wird am Ende ihm die Verantwortung für die nach wie vor ungelösten Haushaltsprobleme zugeordnet werden.
    Schmidt:   Jede Regierung muss Kompromisse machen. Demokratie ohne den Willen zum Kompromiss kann nicht funktionieren. Wenn ich ein Gesetz durch das Parlament bringen will, dann muss ich eine Mehrheit davon überzeugen, dass die Vorlage richtig ist. Das Zustandebringen einer parlamentarischen Mehrheit setzt die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Kompromiss voraus. Das ist in jeder Demokratie der Welt das Gleiche, im Detail sieht es dann von Fall zu Fall anders aus. Aber ich stimme Ihnen zu, dass die amerikanische Demokratie gegenwärtig gehandikapt ist, und das liegt vor allem an der Republikanischen Partei, die einerseits beflügelt ist von ihrem Wahlerfolg bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus, andererseits tief enttäuscht, weil sie die Regierungsgewalt verloren hat. Die Republikanische Partei in ihrem augenblicklichen Zustand macht das Finden von tragfähigen Kompromissen sehr schwierig. Darunter leidet die Administration Obama, die im Übrigen nicht nur innenpolitisch, nicht nur ökonomisch, sondern eben auch sicherheitspolitisch – siehe Afghanistan – ein wirklich schlimmes Erbe übernommen hat. Das darf man nicht vergessen.
    Steinbrück:   Der Begriff »Kompromiss« ist in Deutschland – vielleicht als Restante des deutschen Idealismus – negativ besetzt, obwohl er von konstitutiver Bedeutung für das Funktionieren einer Demokratie ist, damit wir uns nicht die Köpfe einschlagen –
    Schmidt:   Peer, darf ich dazwischenfahren? Diese Neigung der Deutschen, den Kompromiss schon vom Prinzip her moralisch für zweifelhaft zu halten, hat nicht nur in der Redewendung vom »faulen Kompromiss« ihren Niederschlag gefunden, sondern auch im Text der Nationalhymne: Einigkeit und Recht und Freiheit. Natürlich muss Einigkeit herrschen in Bezug auf elementare Grundlagen unserer Gesellschaft, die Würde der Person zum Beispiel oder das Prinzip der Gerechtigkeit; wenn es um die Bejahung dieser Prinzipien geht, habe ich überhaupt keine Bedenken gegen das schöne Lied »Einigkeit und Recht und Freiheit«. Aber sofern Einigkeit dahingehend missverstanden wird, dass es eigentlich ein Verstoß sei gegen das Ideal, wenn man Kompromisse schließen muss, dann muss ich widersprechen. Man begegnet dieser Auffassung häufig gerade unter jungen Leuten, und dann frage ich mich, ob die Erziehung dieser jungen Deutschen an Schulen und Universitäten möglicherweise unzureichend war. Entschuldigen Sie, Peer, diese Abschweifung.
    Steinbrück:   Die Betonung der Einigkeit hat eine lange Tradition im deutschen Idealismus, der für eine ganze Reihe von Versperrungen im gesellschaftlichen und politischen Feld verantwortlich ist, unter anderem für unsere Neigung, Fragen immer grundsätzlich anzugehen und prinzipienorientiert zu debattieren. Bei ganz und gar nebensächlichen Fragen genügt es uns nicht, zu sagen, es geht um Leben und Tod – nein, es geht um mehr als das! Was uns in der deutschen Politik manchmal fehlt, ist eine Portion britischer Common Sense, eine Portion skandinavischer Pragmatismus und manchmal auch eine gewisse mediterrane Leichtfüßigkeit.
    Aber ich will zurück zu dem in meinen Augen durchaus beunruhigenden Szenario, dass 2012 vielleicht nicht gerade Sarah Palin die Wahlen gewinnt, aber doch ein radikaler, dem religiösen Fundamentalismus zuneigender, auf die Innenpolitik fixierter Republikaner Präsident der Vereinigen Staaten von Amerika wird. Die Riege der republikanischen Bewerber, die sich mit Unterstützung der Tea-Party-Bewegung warmlaufen, lässt einem den Atem stocken.
    Was würde ein solcher Präsident Ihrer Meinung nach bedeuten in den Außenbeziehungen der USA und in dem Zusammenwirken zwischen den USA und Europa? Mich beschäftigt die Frage, ob darüber nicht die in der amerikanischen Geschichte mehrfach zum Vorschein
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