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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephan Ludwig
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auf dem Rücken seines Shirts.
    Als er in den Wald einbog, wurde der Weg schmaler. Hier, im Schatten, war es merklich kühler. Die Betonplatten wurden durch sandigen Boden abgelöst, der mit Tannenzapfen, Wurzeln und heruntergefallenen Ästen übersät war. Der Junge setzte sich im Sattel auf, schaltete einen Gang höher und beschleunigte.
    Nach zwei Kilometern bog er nach rechts ab. Er näherte sich dem Aussichtsturm, nun ging es steil bergauf. Jetzt schaltete er runter, das letzte Stück verlief fast senkrecht, nur unter Aufbietung aller Kräfte schaffte er es, nicht absteigen zu müssen.
    Auf dem Plateau angekommen, warf er das Rad achtlos beiseite und sank keuchend auf eine der Bänke zu Füßen des Turms. Sein Hintern wurde nass, das Holz war feucht vom Morgentau, es schien ihn nicht zu stören. Er nahm seine Wasserflasche und trank sie in einem Zug aus.
    Dann grunzte er zufrieden, breitete die Arme auf der Lehne aus und schloss die Augen. Hier oben wehte ein leichter, angenehmer Wind. Es war still, bis auf den keuchenden Atem des Jungen und das Zirpen einer Grille. Irgendwo knackte ein Ast. Mücken umflogen seinen Kopf, er murmelte eine leise Verwünschung und verscheuchte sie mit der Hand.
    Als er ein paar Minuten später aufstand, zitterten die Oberschenkel noch immer, doch sein Atem hatte sich ein wenig beruhigt. Er schob das Rad zum südlichen Rand der Hochfläche. Eine Treppe führte hinunter, links daneben gab es einen Hohlweg, der steil bergab bis zu einer überdachten Picknickstelle führte. Im Volksmund hieß der Weg Todesbahn , er diente im Winter als Rodelstrecke.
    Der Junge holte tief Atem, dann fuhr er los. Zuerst bremste er, das Hinterrad blockierte und stellte sich quer, als er ein paar großen Wurzeln auswich. Dann ließ er sich rollen, wurde schneller, immer schneller. Links und rechts schossen die Bäume vorbei, der Junge hob den Kopf, um den Fahrtwind zu genießen, als er plötzlich aus dem Sattel gerissen wurde.
    Das geschah schnell, als würde ein Film vorgespult werden.
    Was gut war, denn so merkte der Junge nicht, wie er starb.
    Ein hohes, metallisches Zirpen erklang, ähnlich dem Schwingen einer Klaviersaite, ein seltsam albernes, comicähnliches Geräusch, es ähnelte dem DOING!!! in einem alten Zeichentrickfilm.
    Der dünne Metalldraht, der in Kopfhöhe quer über den Weg gespannt war, zerschnitt das weiche Gewebe unterhalb des Zungenbeins, durchdrang zuerst die Luft-, dann die Speiseröhre. Wäre der Junge schneller gewesen, hätte der Draht auch seinen Halswirbel durchtrennt, so aber blieb er stecken, nachdem er sich einen halben Zentimeter in den Knochen gegraben hatte.
    Einen Moment schien es, als würde der Draht reißen, er dehnte sich, der Junge hing wie eine Puppe in der Luft, während das weiße Mountainbike unter ihm weiterrollte. Das Zirpen wurde lauter, klang jetzt elektrisch, als würde ein Generator angeworfen. Den Bruchteil einer Sekunde stand die Zeit still, dann schwang der Draht zurück, der Junge wurde mit furchtbarer Gewalt ein paar Meter zurückgeschleudert und war bereits tot, als er mit dem Rücken am Stamm einer dicken Eiche landete. Ein kurzes Aststück ragte heraus, bohrte sich neben dem Rückgrat ins Fleisch und verhinderte, dass der Tote in sich zusammensank. So sah es denn aus, als würde er dort am Stamm lehnen und ausruhen, direkt unter einem hölzernen Schild : Naturschutzgebiet – Verhalten Sie sich ruhig! Übernachten verboten! , der Kopf auf die Brust gesackt, der Helm ein wenig schief, ein Bein leicht angewinkelt, das T-Shirt nicht gelb, sondern dunkelbraun vom Blut, das aus der klaffenden Halswunde drang.
    Zehn Meter weiter lag das Bike zwischen Brennnesseln auf der Seite, das Hinterrad drehte sich leise klackernd.
    Der Draht vibrierte ein wenig nach, dabei blitzte er kurz in der Sonne auf.
    Ein Sperling landete zu Füßen der Leiche, legte den Kopf schief, sah kurz auf und flog wieder davon.
    Dann war es still.
    *
    Es war kurz vor halb neun, als der dicke Schröder keine zwei Kilometer von der Leiche entfernt an der Bushaltestelle stand. Er hatte sich, die Aktentasche zwischen den Beinen, in den Schatten zurückgezogen und las in der neuesten Ausgabe des Spiegel .
    Von rechts kam ein großes, korpulentes Mädchen in einem pinkfarbenen Sommerkleid herangeschlendert. In der Linken trug sie ein Badehandtuch, das gegen ihre nackten, kräftigen Beine schlenkerte. Das Haar war dunkel und strähnig, eine giftgrün gefärbte Locke hing ihr tief in die
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