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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind
Autoren: John Irving
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Bauch, der in einem paillettenbestickten, enganliegenden
Trikot steckte.
    Ihr Hals und ihre
Wirbelsäule waren unverletzt – der Doktor hatte die Verletzung von seinem Platz
aus aufgrund der Art des Falls richtig diagnostiziert. Deepas Hüftgelenk war ausgerenkt,
so daß es ihr ziemlich weh tat, als er auf ihren Unterleib fiel. Die rosafarbenen
und knallroten Pailletten, die auf Deepas Bauch einen Stern bildeten, hinterließen
Schrammen auf Farrokhs Stirn, und sein Nasenrücken wurde von ihrem Schambein abrupt
abgebremst.
    Unter grundsätzlich
anderen Voraussetzungen hätte dieser Zusammenprall vielleicht prickelnd sein können,
nicht jedoch für eine Frau mit ausgerenkter Hüfte (deren Kopf fest zwischen den
Knien eines Zwergs klemmte). Dr. Daruwalla sollte diese Begegnung mit Deepas Schambein
– ungeachtet ihrer Schmerzen und Schreie – für sich als einzigen »außerehelichen«
sexuellen Kontakt verbuchen. Er würde ihn nie vergessen.
    Da hatte man ihn
aus dem Publikum geholt, um der Frau eines Zwergs in ihrer Not zu helfen. Und nun
war er, vor den Augen der unbeeindruckten Menge, der verletzten Frau mit dem Gesicht
in den Schritt geknallt. Was Wunder, daß er weder Deepa noch die gemischten Gefühle,
die sie bei ihm hervorgerufen hatte, vergessen konnte.
    Noch heute, nach
all den Jahren, errötete Farrokh vor [27]  Verlegenheit und verspürte ein angenehmes
Prickeln, wenn er an den erregenden, straffen Bauch der Trapezkünstlerin zurückdachte.
Dort, wo seine Wange an der Innenseite ihres Schenkels gelegen hatte, vermeinte
er noch immer ihre schweißnassen Strümpfe zu spüren. Die ganze Zeit hörte er Deepas
Schmerzensschreie (während er sich ungeschickt bemühte, sich von ihr hinunterzuwälzen),
und außerdem hörte er den Knorpel in seiner Nase knacken, denn Deepas Schambein
war hart wie ein Knöchel oder Ellbogen. Und als er ihren gefährlichen Duft einatmete,
glaubte er endlich den Geruch von Sex identifiziert zu haben, der ihm wie ein erdiges
Gemisch aus Tod und Blumen vorkam.
    Dort, in dem schwankenden
Netz, machte ihm Vinod zum erstenmal Vorwürfe. »Das alles ist nur passiert, weil
Sie unbedingt Zwergenblut wollen«, sagte der Zwerg.
    Der Doktor sinnt über Lady Duckworths Brüste
nach
    In fünfzehn
Jahren hatten die indischen Zollbehörden Dr. Daruwalla ganze zweimal aufgehalten,
beide Male wegen der Einwegkanülen – ungefähr hundert an der Zahl. Beide Male mußte
er den Unterschied erklären zwischen normalen Spritzen, mit denen Injektionen gegeben
werden, und den sogenannten Vacutainern, mit denen Blut abgenommen wird. Im zweiten
Fall sind weder die Glasröhrchen noch die Nadelaufsätze aus Plastik mit Kolben versehen.
Der Doktor führte keine Spritzen mit, mit denen man Medikamente spritzte, sondern
Vacutainer, mit denen man Blut abnahm.
    »Und wem wird Blut
abgenommen?« hatte der Zollbeamte gefragt.
    Sogar diese Frage
hatte sich leichter beantworten und [28]  erläutern lassen als das Problem, das sich
ihm im Augenblickstellte.
    Das augenblickliche
Problem bestand darin, daß Dr. Daruwalla schlechte Nachrichten für den berühmten
Schauspieler mit dem unwahrscheinlichen Namen Inspector Dhar hatte. Der Doktor,
der sich gerne vor der Aufgabe gedrückt hätte, nahm sich vor, dem Filmstar die schlechte
Nachricht an einem öffentlichen Ort mitzuteilen. Da Inspector Dhar für sein beherrschtes
Auftreten in der Öffentlichkeit berühmt war, glaubte sich Farrokh darauf verlassen
zu können, daß der Schauspieler Haltung bewahren würde. Nicht jedermann in Bombay
hätte einen privaten Club als öffentlichen Ort betrachtet, aber nach Dr. Daruwallas
Ansicht war dieser für die bevorstehende heikle Unterredung genau richtig: nicht
zu privat und nicht zu öffentlich.
    Als der Doktor an
jenem Morgen im Duckworth Sports Club eintraf, fand er nichts dabei, als er über
dem Golfplatz hoch am Himmel einen Geier erblickte. Er betrachtete den Todesvogel
keineswegs als schlechtes Omen für die unliebsame Nachricht, die er zu überbringen
hatte. Der Club befand sich in Mahalaxmi, unweit vom Malabar Hill, und jedermann
in Bombay wußte, warum es die Geier nach Malabar Hill zog. Wenn ein Leichnam in
die Türme des Schweigens gebracht wurde, konnten die Geier bis auf dreißig Meilen
im Umkreis von Bombay die faulenden Überreste riechen.
    Farrokh war mit
den Bestattungsriten der Parsen, Doongarwadi genannt, vertraut. Die sogenannten
Türme des Schweigens, die den Parsen als Begräbnisstätte dienen, sind
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